Der Fall Brender

Saarbrücken/Mainz. Im Internet-Auftritt des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), mit 3600 festen Mitarbeitern einer der größten TV-Sender Europas, ist das Ziel klar formuliert: "Das ZDF bietet seinen Zuschauern ein von Wirtschaft und Politik unabhängiges Fernsehen." Diese Unabhängigkeit sehen zahlreiche Medienschaffende, Juristen und Politiker derzeit allerdings stark gefährdet

Saarbrücken/Mainz. Im Internet-Auftritt des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), mit 3600 festen Mitarbeitern einer der größten TV-Sender Europas, ist das Ziel klar formuliert: "Das ZDF bietet seinen Zuschauern ein von Wirtschaft und Politik unabhängiges Fernsehen." Diese Unabhängigkeit sehen zahlreiche Medienschaffende, Juristen und Politiker derzeit allerdings stark gefährdet.Heute will der ZDF-Verwaltungsrat bei einer Sitzung in Berlin entscheiden, ob der Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender (60) für weitere fünf Jahre verlängert wird oder Ende März 2010 ausläuft. ZDF-Intendant Markus Schächter hatte dem Aufsichtsgremium die Verlängerung vorgeschlagen. Namhafte Journalisten stärkten Brender diese Woche den Rücken und warnten vor einem "massiven politischen Eingriff" beim ZDF. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken, betonte: "Der unabhängige Chefredakteur, der Herr Brender, darf nicht zugunsten eines parteiischen Chefredakteurs verdrängt werden." Bereits am Wochenende hatten 35 deutsche Staatsrechtler gegen eine Einmischung der Politik protestiert. Sie beriefen sich auf die grundgesetzlich garantierte Rundfunkfreiheit und wandten sich in einem Offenen Brief gegen "den offenkundigen Versuch, einen unabhängigen Journalisten zu verdrängen und den Einfluss der Parteipolitik zu stärken". In der Kritik steht vor allem Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Der CDU-Politiker wandte sich öffentlich gegen die Verlängerung von Brenders Vertrag. Dem leitenden ZDF-Angestellten, der dem politisch linken Lager zugerechnet wird, lastete er unter anderem die rückläufigen Einschaltquoten im Informationsbereich des Senders an. Koch ist stellvertretender Vorsitzender im 14-köpfigen ZDF-Verwaltungsrat, dem auch Saar-Regierungschef Peter Müller angehört. Und vermutlich spricht der Hesse für das gesamte konservative Lager, das in dem Gremium zurzeit eine Mehrheit hat. Müller jedenfalls lehnte es auf Anfrage unserer Zeitung ab, eine Stellungnahme zum Fall Brender abzugeben.Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) als Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates machte sich unterdessen für den amtierenden Chefredakteur stark. Beck stehe "voll und ganz hinter dem Personalvorschlag des Intendanten", erklärte sein Regierungssprecher Walter Schumacher. Andere SPD-Politiker wie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit oder die frühere schleswig-holsteinische Regierungschefin Heide Simonis üben offen Kritik an Koch. Ihm gehe es um einen "Versuch politischer Abstrafung", so Wowereit. Simonis nennt den Hinweis auf sinkende Quoten schlicht "Kokolores": Man wolle einen Journalisten "absägen", der einigen CDU-Politikern nicht passe. Dabei ist Brender Parteilichkeit kaum vorzuwerfen. Erst im Oktober wurde er mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. "Er hält Distanz und macht sich nicht gemein", hieß es zur Begründung.Die Öffentlichkeit hat es ganz offensichtlich mit einem Machtpoker zu tun, der auf dem Rücken einer Person ausgetragen wird. Denn nach den Statuten des Senders benennt der ZDF-Verwaltungsrat den Chefredakteur üblicherweise "im Einvernehmen mit dem Intendanten". Gegen diese Regel soll nun offenbar bewusst verstoßen werden. Falls sich die Beteiligten nicht in letzter Minute zusammenraufen, könnte es am Ende viele Beschädigte geben: die ZDF-Führung, die handelnden Politiker und das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem selbst. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Thomas Gruber, sieht schon jetzt "Kollateralschäden am System". Er hofft, "dass die Politik noch rechtzeitig erkennt, dass sie hier zu weit geht, und nicht das Verfassungsgericht bemüht werden muss". Wobei es mancher Medienschaffende sogar als Befreiungsschlag empfinden dürfte, wenn das höchste Gericht endgültig klären würde, wie es sich denn nun mit journalistischer Unabhängigkeit, Medienfreiheit, Staatsferne und staatlicher Rechtsaufsicht verhält. So weit ist es gekommen . . . "Ich hoffe, dass die Politik noch rechtzeitig erkennt, dass sie hier zu weit geht, und nicht das Verfassungsgericht bemüht werden muss." Thomas Gruber, Intendant des Bayerischen Rundfunks

StichwortDas Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) mit Sitz in Mainz sendet seit April 1963 als zweite öffentlich-rechtliche Anstalt in Konkurrenz - oder als Ergänzung - zur ARD. Ihr Kernauftrag ist identisch. Im Handbuch "ABC des Journalismus" steht dazu: "Sie sollen mit ihren Sendungen der Information, Bildung und Unterhaltung aller Bürger dienen. Sie haben das Recht der Selbstverwaltung und unterliegen einer staatlichen Rechtsaufsicht." Die Organe der öffentlich-rechtlichen Sender sind Rundfunkrat (beim ZDF der Fernsehrat), Verwaltungsrat und Intendant. Die Rundfunkräte sollen die gesellschaftlich relevanten Gruppen (wie Parteien, Verbände, Kirchen, Gewerkschaften) repräsentieren und die Interessen der Öffentlichkeit vertreten. Diese Räte überwachen die Einhaltung der Programmgrundsätze, wählen die Intendanten und beraten diese in allgemeinen Programmangelegenheiten. Die Verwaltungsräte kontrollieren die Geschäftsführung der Intendanten in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Intendanten tragen die Verantwortung für die Programmgestaltung und die jeweilige Anstalt - und vertreten diese gegenüber der Öffentlichkeit. in

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