Der einzige Dokumentar des Terrors

New York. Lange Zeit konnte Gary Marlon Suson nicht darüber sprechen, was er durch die Objektive seiner Kamera sah. Abgerissene Gliedmaßen, Hautfetzen und halb verweste Körper. "Heute macht mir das nicht mehr so viel aus", erzählt der 34-Jährige, der seit Jahren zur Therapie geht. Ganz überwunden hat er das Trauma aber noch nicht

New York. Lange Zeit konnte Gary Marlon Suson nicht darüber sprechen, was er durch die Objektive seiner Kamera sah. Abgerissene Gliedmaßen, Hautfetzen und halb verweste Körper. "Heute macht mir das nicht mehr so viel aus", erzählt der 34-Jährige, der seit Jahren zur Therapie geht. Ganz überwunden hat er das Trauma aber noch nicht. Bestimmte Modergerüche rufen den Terror im Kopf ebenso wach wie Bilder von Katastrophen. Beim Erdbeben in Japan schaltete er den Fernseher ab.Auch Interviews über seine Arbeit als Dokumentar der New Yorker Feuerwehr belasten ihn. Gerade jetzt vor dem Jahrestag, an dem sich die Journalisten in seinem zum Museum umfunktionierten Atelier die Klinke in die Hand drücken. Angezogen von Garys einzigartigen Zeitdokumenten, die in der klaffenden Wunde im Herzen Manhattans entstanden. Ein Ort, zu dem kein anderer Fotograf Zutritt erhielt. Seine Mitarbeiter rücken die Hocker zurecht und stellen Boxen mit Papiertüchern auf die Beistelltische vor dem Flachbildschirm, über den gleich eine bewegende Einführung flimmert. "Lassen Sie Ihren Emotionen freien Lauf", rät Gary, bevor er die Besucher mit seinen Fotos, Tondokumenten und Fundstücke mit in die Tiefen des Ground Zero nimmt. Das Material erzählt Geschichten wie die von der Wanduhr, die Gary im Kontrollraum der Nahverkehrszüge fand. Die Zeiger froren um 10.02 Uhr und 14 Sekunden ein - der Zeitpunkt, an dem der Südturm des World Trade Centers einstürzte. Die intimen Aufnahmen, die von Verzweiflung, Trauer, Liebe und Entschlossenheit zeugen, lassen niemanden ungerührt.

Der damalige Chef der Feuerwehr-Gewerkschaft, Rudy Sanflippo, hatte ihm durch einen Zufall den Fotografen-Job verschafft. "Er wollte dokumentieren, dass New York würdig mit den Toten umgeht", beschreibt Gary seinen Auftrag. Die einzige Bedingung: keine Bezahlung und keine Geschäftemacherei.

Die Kamera hat Suson schon einige Zeit nicht mehr angefasst. Stattdessen arbeitet er an seiner Rolle in einem Off-Broadway-Theaterstück. Dieses erzählt die Geschichte eines Feuerwehrmanns, der mit Schuldgefühlen ringt, die der Tod seiner Kameraden an Ground Zero hinterlassen hat. "Recovery" (Erholung) heißt der Titel. Ein Wort, das gut beschreibt, wo sich Gary zehn Jahre nach dem 11. September selber sieht.

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