Der Deserteur darf hoffen

Luxemburg · Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof um einen abgelehnten Asylantrag eines desertierten US-Soldaten bleiben viele Fragen ungeklärt. Antworten gibt es wohl frühestens in einem Jahr.

Ein klares Nein war es nicht. Zwar sei "nicht davon auszugehen", dass eine drohende Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder der Entlassung aus der Armee als "unverhältnismäßig oder diskriminierend" angesehen werden könne, hieß es gestern in der Urteilsverkündung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg . Eine Chance auf eine Bewilligung seines Asylantrags bleibt dem desertierten US-Soldaten André Shepherd noch: Dann nämlich, wenn der 37-Jährige fürchten müsste, durch einen neuen Einsatz im Irakkrieg indirekt in Kriegsverbrechen verwickelt zu werden. Das nachzuweisen, obliegt nun dem Münchener Verwaltungsgericht. "Ich hätte mehr Sorgfalt erwartet", sagte Anwalt Reinhard Marx unserer Zeitung nach der Urteilsverkündigung.

Er hat Shepherd seit der Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt für Migration 2008 begleitet. Ein Jahr zuvor war der US-Soldat heimlich von seiner Einheit geflüchtet, die im fränkischen Katterbach stationiert war. Andernfalls hätte man den Mechaniker, der für die Wartung von Kampfhubschraubern zuständig war, wie sie auch in Falludscha eingesetzt wurden, erneut in den Irak geschickt.

Es waren Schlachten wie diese, die Shepherd zweifeln ließen, ob das, was er tat, überhaupt rechtens war. Ihm begegneten Iraker, die ihm vorwarfen: "Warum zerstört ihr unsere Dörfer, missbraucht unsere Frauen, schändet unsere Toten?" Der US-Soldat, der sich bei der Armee verpflichtet hatte, weil er sein Informatikstudium nicht mehr bezahlen konnte, war von solchen Anschuldigen erschüttert. Und beschloss zu desertieren.

Zunächst versteckte er sich bei Freunden, später stellte er den Antrag, der ihn bis vor das höchste Gericht der Europäischen Union führen sollte. Dass er einmal zu einem Präzedenzfall werden würde, hat er nicht erwartet. Doch mit der Frage, ob das in der EU geltende Asylrecht auch dann greift, wenn "für die Zukunft damit zu rechnen ist, dass es zu Verstößen gegen das humanitäre Menschenrecht kommt", so die Formulierung des Bayerischen Verwaltungsgerichts, war eine Grundsatzdiskussion angestoßen. Darauf gaben die Luxemburger Richter eine klare Antwort.

Der Schutz des Asylrechts, so das Urteil, schließe "nicht ausschließlich Fälle" ein, "in denen feststeht, das bereits Kriegsverbrechen begangen wurden" - sondern auch solche, in denen derlei "Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit" begangen werden. Dazu gehöre auch eine mittelbare Beteiligung an solchen Verstößen, betonten die Richter. Damit schlossen sie auch logistische Mitarbeiter der Armee wie Shepherd, die nie im direkten Kampfeinsatz waren, ausdrücklich mit ein.

Marx sieht deshalb gute Chancen für seinen Mandanten, den Antrag auf Asyl nachträglich doch noch durchzusetzen. Er habe genügend Beweise, die nahe legten, dass die USA im Irak Kriegsverbrechen begangen haben. Ob das Bayerische Verwaltungsgericht dieser Auffassung folgt, werde sich aber erst in einem Jahr klären. Dann wird das Verfahren frühestens wieder aufgenommen.Dass Shepherd an die USA ausgeliefert wird, sollte sein Antrag auf Asyl endgültig abgewiesen werden, ist nicht gesagt. Denn militärische Straftaten sind in dem Abkommen mit den Vereinigten Staaten ausgenommen.

Meinung:

Politischer Sprengstoff

Von SZ-KorrespondentinMirjam Moll

Es ist ein fataler Irrtum des Europäischen Gerichtshofs, zu glauben, UN-mandatierte Einsätze seien frei von Kriegsverbrechen . Dabei gibt es genügend blutige Beispiele. Dennoch kommt diese Interpretation nicht überraschend. Denn der Fall birgt politischen Sprengstoff. Nun sollen deutsche Gerichte über die Rechtschaffenheit der USA entscheiden. Ein Urteil dürfte kaum zugunsten von André Shepherd ausfallen. Denn im Kampf gegen die Terrormiliz IS und bei der Verhinderung von Attentaten ist die Allianz mit Washington für Deutschland unverzichtbar. Die gesellschaftliche Rehabilitierung eines Einzelnen dürfte dabei in den Hintergrund rücken.

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