Der Cavaliere kippt vom Thron

Mailand · Der Ruby-Prozess endete mit einem Paukenschlag: Das Mailänder Gericht übertraf die Forderungen der Staatsanwaltschaft und verurteilte Italiens Ex-Regierungschef zu sieben Jahren Haft. Silvio Berlusconis Anwalt kündigte Berufung an.

Der einzige Angeklagte war nicht im Gerichtssaal in Mailand erschienen. Silvio Berlusconi verfolgte das Urteil von seinem fürstlichen Anwesen in Arcore bei Mailand aus. Hier, wo sich die ausschweifenden Feste zugetragen haben sollen, die diesen Prozess unter den Namen "Ruby" und "Bunga Bunga" in aller Welt bekannt machten, vernahm er den Spruch der drei Richterinnen.

Der sogenannte Ruby-Prozess endete mit einem Paukenschlag. Das Gericht verurteilte den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten wegen Amtsmissbrauch und Sex mit einer minderjährigen Prostituierten zu sieben Jahren Haft und übertraf damit noch die Forderungen der Staatsanwaltschaft. Sie hatte sechs Jahre Haft gefordert. Das Gericht war davon überzeugt, Berlusconi habe für Sex mit der zum Tatzeitpunkt minderjährigen Karima El Mahroug alias "Ruby" bezahlt und war sich ihrer Minderjährigkeit bewusst. Außerdem verfügte das Gericht, Berlusconi dürfe lebenslang keine öffentlichen Ämter mehr ausüben. Der Richterspruch erfolgte in erster Instanz und ist deshalb noch nicht rechtskräftig. In Italien werden Urteile erst in der dritten Instanz wirksam.

"Es handelt sich um eine Strafe jenseits der Wirklichkeit", sagte Berlusconi-Anwalt Niccolò Ghedini und kündigte Berufung an. Beobachter erwarten, dass sich das Urteil negativ auf die Regierung von Premier Enrico Letta auswirken könnte, die von der Berlusconi-Partei "Volk der Freiheit" in einer Großen Koalition mitgetragen wird. Einige Abgeordnete hatten im Vorhinein ihren Rücktritt für den Fall der Verurteilung ihres Parteichefs angekündigt.

Das aus drei Frauen zusammen gesetzte Gericht gab der Staatsanwaltschaft in beiden Anklagepunkten, Amtsmissbrauch und Prostitution Minderjähriger, recht. Die Richterinnen wiesen die Ermittler außerdem an, eine Reihe falscher Zeugenaussagen zu überprüfen.

Auslöser der Ermittlungen war ein Anruf Berlusconis am 27. Mai 2010 in der Mailänder Polizeibehörde. Die damals 17 Jahre alte El Mahroug war von der Polizei wegen des Verdachts auf Diebstahl vorläufig festgenommen worden. Berlusconi befand sich zu diesem Zeitpunkt bei einem internationalen Gipfel in Paris.

Brisant war auch, dass das brasilianische Partygirl Michelle Conceicao den Premier mit einem Anruf auf dessen Handy von der Festnahme Rubys in Kenntnis gesetzt hatte. Berlusconi rief daraufhin in der Mailänder Quästur an und drängte auf die Freilassung der Minderjährigen. Berlusconi berief sich auf diplomatische Probleme, da El Mahroug eine Verwandte des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak sei. Eine Jugendrichterin hatte da bereits die Überführung der Marokkanerin El Mahroug in eine Jugendeinrichtung verfügt. "Ruby" wurde in Folge des Anrufs Berlusconis von Nicole Minetti, einer Regionalabgeordneten und Vertrauten des Premiers abgeholt.

Minetti, die sich in einem anderen Prozess verantworten muss, war laut Anklage eine der Organisatorinnen des Prostitutionsrings in Arcore. Das Gericht sah es nun als erwiesen an, dass Berlusconi mit dem Telefonat die Aufdeckung des "Bunga Bunga" und seines Verhältnisses zu "Ruby" zu verhindern versuchte. Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre Haft wegen Amtsmissbrauchs gefordert. Berlusconi soll seine Funktion als Premier missbraucht haben, die Verhältnisse in seiner Villa in Arcore zu vertuschen.

Für die Staatsanwaltschaft existierte in Arcore "ein System der Prostitution zur Befriedigung Berlusconis", sie forderte ein Jahr Haft wegen der Prostitution Minderjähriger. Das Gericht teilte die These, dass die damals 17 Jahre alte El Mahroug zwischen Februar und Mai 2010 mehrmals Sex mit dem damaligen Ministerpräsidenten gehabt hatte und dafür bezahlt wurde. Unstrittig ist, dass Berlusconi "Ruby" insgesamt 57 000 Euro gab. Laut Verteidigung handelte es sich lediglich um ein großzügiges Geldgeschenk zur Eröffnung eines Schönheitssalons, laut Staatsanwaltschaft und Gericht war es schlicht Geld für Sex.

Ruby und Berlusconi bestritten, jemals Sex miteinander gehabt zu haben. Aus den Aussagen von acht Zeugen sowie aus abgehörten Telefonaten ging allerdings das Gegenteil hervor. Dutzende junge Frauen hätten teilweise als bezahlte Konkubinen auf der Gehaltsliste Berlusconis gestanden. Bis zu 3000 Euro gab es für die einfache Teilnahme an den Abendessen, bis zu 6000 Euro für Übernachtung und Sex in Arcore.

Zum Thema:

Auf einen BlickSilvio Berlusconi und der Fall "Ruby":27. Mai 2010: In Mailand wird die 17-jährige Marokkanerin Ruby - mit richtigem Namen Karima El Mahroug - wegen mutmaßlichen Diebstahls festgenommen. Berlusconi meldet sich persönlich bei der Polizei und erwirkt ihre Freilassung; 14. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft ermittelt im "Fall Ruby" gegen Berlusconi wegen Amtsmissbrauchs und Umgangs mit minderjährigen Prostituierten; 6. April: Der Prozess beginnt in Mailand und wird bereits nach fünf Minuten vertagt. Weder Berlusconi noch Ruby sind anwesend; 12. November: Wegen zu geringen Rückhalts unter den Abgeordneten tritt Berlusconi von seinem Amt als Regierungschef zurück; 19. Oktober 2012: Berlusconi beteuert vor Gericht, er habe niemals intime Beziehungen zu dem minderjährigen Partygirl gehabt; 4. April 2013: Ruby erklärt: "Ich hatte nie Geschlechtsverkehr gegen Geld und ich hatte nie Geschlechtsverkehr mit Silvio Berlusconi". 3. Juni: Der Verteidiger im Hauptverfahren fordert Freispruch. dpa

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