Der böse Ausrutscher des Schlichters

Stuttgart. Es ist ein Déjà-vu. Als Heiner Geißler vor etwa zehn Monaten seine Stuttgart-21-Mission startet, zündet der damals 80-Jährige mit einem einzigen Satz eine mediale Bombe. Im Foyer des Stuttgarter Bahnhofs erklärt er dem erstaunten Pressepulk: "Der Ministerpräsident war einverstanden mit einem Bau- und Vergabestopp

 Heiner Geißlers Warnung vor dem "totalen Krieg" löst heftiges Stirnrunzeln aus. Foto: dpa

Heiner Geißlers Warnung vor dem "totalen Krieg" löst heftiges Stirnrunzeln aus. Foto: dpa

Stuttgart. Es ist ein Déjà-vu. Als Heiner Geißler vor etwa zehn Monaten seine Stuttgart-21-Mission startet, zündet der damals 80-Jährige mit einem einzigen Satz eine mediale Bombe. Im Foyer des Stuttgarter Bahnhofs erklärt er dem erstaunten Pressepulk: "Der Ministerpräsident war einverstanden mit einem Bau- und Vergabestopp." Die Gegner des Tiefbahnhofs jubeln, der damalige CDU-Regierungschef Stefan Mappus zürnt und pfeift Geißler zurück. Die Gegner des früheren CDU-Generalsekretärs wettern, das heutige Attac-Mitglied sei wohl nicht ganz bei Trost. Doch Geißler lässt sich nicht beirren. Er nennt die Baustopp-Debatte ein Missverständnis und nimmt seine Arbeit als Schlichter auf - mit den bekannten Folgen.Nun, einen Sommer später, fragen sich wieder viele: Was ist bloß mit Heiner Geißler los? Denn der mittlerweile 81-jährige hatte am Freitag zum Ende der zehnstündigen Stuttgart-21-Schlichtung nicht nur mit seinem Kompromissvorschlag überrascht, sondern auch mit der so heiklen wie provozierenden Frage: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Das Goebbels-Zitat stößt in der Runde mit Landesminister, Staatssekretär, Bahn-Manager, Oberbürgermeister und linken Projektgegnern zunächst nicht auf Widerspruch.

Die Kontrahenten mussten wohl erstmal verdauen, dass Geißler sie mit seiner Kombi-Lösung aus Kopf- und Tiefbahnhof überrumpelt hatte. Doch in den klassischen Medien und im Kurznachrichtendienst Twitter schwoll die Kritik an Geißlers Goebbels-Zitat übers Wochenende an. Von bösem Ausrutscher und Patzer ist die Rede.

Doch in einem Live-Interview im Deutschlandfunk am Dienstagmorgen gibt sich Querkopf Geißler stur. Der frühere CDU-Generalsekretär sieht nicht ein, seine Formulierung zurückzunehmen. Im Gegenteil: Er behauptet sogar, er wisse gar nicht, dass das Zitat "Wollt ihr den totalen Krieg?" aus der berüchtigten Sportpalastrede von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels aus dem Jahr 1943 stammt. "Ach was, das ist keine Sprechweise der Nazis. Der totale Krieg, den gibt es auch anderswo, den haben wir zurzeit in Syrien." Auch in Stuttgart habe es im Konflikt um den Bahnhof bereits 100 Verletzte gegeben. Es sei höchste Zeit, eine friedliche Lösung zu finden.

"Ist der Geißler jetzt endgültig senil?", fragt Twitter-User keanofcu. "Spätestens seit diesem Satz ist er völlig unten durch", meint laRossa05.

Der Fraktionschef der Südwest-FDP, Hans-Ulrich Rülke, haut richtig drauf. Geißler gehe es nur um Eigenwerbung. "Er sucht die mediale Aufmerksamkeit, damit er als Jopie Heesters des Politikbetriebs noch mit 100 Jahren in den Talkshows sitzen kann", ätzt der Liberale. Außerdem habe Geißler Stuttgart mit seinem Vorschlag keinen Frieden gebracht, sondern weitere Eskalation. Schließlich könnten die Gegner jetzt sagen, auch Geißler sei gegen Stuttgart 21.

 Heiner Geißlers Warnung vor dem "totalen Krieg" löst heftiges Stirnrunzeln aus. Foto: dpa

Heiner Geißlers Warnung vor dem "totalen Krieg" löst heftiges Stirnrunzeln aus. Foto: dpa

Der Tübinger Politikprofessor Hans-Georg Wehling vermutet, Geißler sei frustriert, dass sein Überraschungscoup außer bei den Grünen kaum Widerhall findet. "Natürlich will er auch als Strahlemann in die Geschichte eingehen", sagt Wehling. Geißler habe ja Recht, wenn er vor weiterer Gewalt warne. Mit dem Goebbels-Zitat habe der Schlichter aber der Sache keinen Gefallen getan. "Geißler hat ja schon früher im Bundestag auf die Pauke gehauen." Wehling erinnert daran, dass der Politiker 1983 erklärt hatte, der Pazifismus der 30er Jahre habe Auschwitz erst möglich gemacht. "Ich dachte, im Alter wäre er etwas ruhiger geworden."

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