Der blutige Kampf um die heilige Stadt

Jerusalem · Nach dem Anschlag auf eine Synagoge verschärft Israels Ministerpräsident seine Rhetorik. Um Jerusalem tobe ein Kampf, sagt Netanjahu. Ein Kabinettskollege fordert sogar den Einsatz der Armee.

Ein Riss geht durch die Stadt, spürbar und sichtbar. Ostjerusalems Straßen haben mehr Schlaglöcher als die im Westen, vor den Häusern türmt sich der Müll. Seit gestern trennt die beiden Teile eine noch deutlichere Barriere. Zementblöcke wurden an Ausfahrten aufgestellt. Medienberichten zufolge hat dies Ministerpräsident Benjamin Netanjahu so entschieden. Wer einige arabische Stadtteile verlassen oder in diese hinein will, muss vorbei an Straßensperren und israelischen Sicherheitskräften.

Israel hofft damit, potenzielle Terroristen frühzeitig zu erkennen und zu stoppen. Häufig kamen Selbstmordattentäter aus dem Westjordanland, das heute durch eine Sperranlage von Israel und Ost-Jerusalem abgetrennt ist. Allerdings wurden in diesem Jahr die meisten Anschläge von Männern verübt, die sich in Israel frei bewegen dürfen. So wie die beiden Attentäter, die am Dienstag in einer Synagoge im westlichen Stadtteil Har Nof ein Blutbad anrichteten. Sie waren Cousins, die in Dschabal al-Mukaber im Osten Jerusalems lebten. Doch auch der Westen der Stadt war ihnen nicht fremd. Einer der beiden Männer soll sogar nahe der Synagoge gearbeitet haben. Dass zwei arabische Israelis im Westen der Stadt einen Anschlag begehen, ist für Netanjahu ein unzweifelhaftes Zeichen: Die Terroristen wollten die Juden aus "unserem Land und unserer Hauptstadt vertreiben". Nun müsse man um Jerusalem - Israels "ewige Hauptstadt" - kämpfen.

Mitten in der Altstadt tobt dieses Gefecht schon lange. Schauplatz ist der Tempelberg, der Juden und Muslimen gleichermaßen heilig ist. Verwaltet wird er von Jordanien und der islamischen Wakf-Stiftung. Doch auch in der jüdischen Bevölkerung gibt es radikale Strömungen, die Anspruch auf den Ort erheben. Die Extremisten wollen nicht nur auf dem Tempelberg beten - sondern dort am liebsten auch den dritten Tempel aufbauen.

Ein rechter Politiker möchte den von Netanjahu beschworenen Kampf um die heilige Stadt am liebsten mit Waffen führen: Naftali Bennett, Wirtschaftsminister und Chef der Siedlerpartei Jüdisches Haus, forderte, das Militär in Ost-Jerusalem einzusetzen. "Wir müssen aus der Defensive in den Angriff übergehen."

Eine erste Vergeltungsmaßnahme gab es bereits gestern. Die Armee Jerusalems zerstörte das Haus eines palästinensischen Attentäters im Stadtteil Silwan (Ost-Jerusalem). Der 21-jährige Abdelrahman Schaludi war am 22. Oktober mit seinem Auto in eine Fußgängergruppe im Westteil gerast. Dabei waren eine junge Frau und ein Baby ums Leben gekommen, Schaludi wurde von der Polizei erschossen. Nach dem Einsatz des Sprengkommandos ragten nur noch einige Betonpfeiler aus den Trümmern hervor. Die Familie war rechtzeitig zu Angehörigen geflohen. "Wo sollen wir hin? Uns bleibt nichts mehr", sagt eine Schwester von Schaludi.

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