Der Ausdauer-Kandidat

Hinter dem Ruderclub in Saarlouis führt eine breite Treppe hinunter zur Saar. Heiko Maas nimmt sie im Laufschritt, bleibt kurz stehen und geht dann am Ufer auf und ab. Es wäre jetzt Zeit für Smalltalk. Aber Maas sagt nicht viel. Man merkt, dass er am liebsten gleich loslaufen möchte. Wir laufen flußaufwärts Richtung Saarbrücken

Endspurt zur Landtagswahl: Heiko Maas, hier auf seiner Laufstrecke in Saarlouis, ist zum dritten Mal SPD-Spitzenkandidat. Foto: Oliver Dietze

Endspurt zur Landtagswahl: Heiko Maas, hier auf seiner Laufstrecke in Saarlouis, ist zum dritten Mal SPD-Spitzenkandidat. Foto: Oliver Dietze

Hinter dem Ruderclub in Saarlouis führt eine breite Treppe hinunter zur Saar. Heiko Maas nimmt sie im Laufschritt, bleibt kurz stehen und geht dann am Ufer auf und ab. Es wäre jetzt Zeit für Smalltalk. Aber Maas sagt nicht viel. Man merkt, dass er am liebsten gleich loslaufen möchte.Wir laufen flußaufwärts Richtung Saarbrücken. Maas ist diese Strecke - er nennt sie seine "Hausstrecke" - schon oft gelaufen. In Richtung Staatskanzlei. Er weiß um das in den Medien oft bemühte Bild des "ewigen Läufers", der bislang nicht ankam. Er sagt ungefragt: "Ich habe schon einen langen Lauf hinter mir." Doch je länger Maas an diesem Morgen läuft und redet, desto deutlicher wird, dass die Beziehung von Sport und Politik in seinem Leben nicht nur bildlich, sondern existenziell ist. Ausdauer will trainiert sein. Sportliches Durchhaltevermögen ist ihm "Selbstbehauptung". Sportliche Erfolge sind "Selbstbestätigung", die ihm als SPD-Landeschef zumindest bei zwei Landtagswahlen verwehrt geblieben ist. Als sich die Grünen unter Hubert Ulrich nach der Landtagswahl 2009 wider Erwarten gegen Rot-Rot-Grün und für Jamaika entschieden und Maas "eine Nacht und einen Tag über Rücktritt nachdachte", hätte er das "ohne die erlernte Kraft zur Ausdauer vielleicht auch getan". Wenn man so will, ist Sport sein Mittel gegen Politikverdrossenheit.

Drüben, am anderen Ufer der Saar, taucht das Kraftwerk Ensdorf auf. Wenige Kilometer dahinter liegt Elm, wo Maas aufgewachsen ist. Die Mutter ist Schneiderin, der Vater Berufssoldat, später Werksicherheitsleiter bei den Ford-Werken in Saarlouis. Sie haben drei Jungs, Heiko Maas ist der älteste. Er geht auf das Gymnasium in Völklingen. Lehrer, die sich heute noch an ihn erinnern könnten, gibt es dort keine mehr. Dafür sei das zu lange her, sagt der Rektor.

Dennoch haftet dem 45-Jährigen bis heute häufig das "Pennäler"-Image an. Oskar Lafontaine nennt ihn "Heikochen", Kabarettist Detlev Schönauer "Bübchen". Tatsächlich wirkt Maas manchmal jungenhaft, etwa wenn er bei Podiumsveranstaltungen mal mit dem Kopf im Nacken wie verträumt an die Decke guckt oder - wie beim "Bild"-Duell mit CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer - die Arme nicht wie diese auf den Sessellehnen ausbreitet, sondern sie oft dahinter eng am Körper hält und seine Finger befühlt. Aber er straft solche Äußerlichkeiten Lügen: Maas schlägt sich besser als seine Kontrahentin, auch die SR-Spitzenkandidatenrunde absolviert er gekonnt.

Die Laufstrecke an der Saar wird steinig. Der Asphalt ist in eine Schotterpiste übergegangen. Maas erzählt vom Anfang. Nachdem ihn Lafontaine 1996 zum Staatssekretär und Reinhard Klimmt zwei Jahre später zu Deutschlands jüngstem (Umwelt-)Minister gemacht hat und "alles wie am Schnürrchen läuft", wird die SPD 1999 abgewählt. Maas übernimmt den Fraktionsvorsitz in der Opposition, ein Jahr später wird er SPD-Landeschef. Er muss sich nicht in den Vordergrund drängeln, man stellt ihn dahin. Mit der Oppositionsarbeit hat er keine Erfahrung, und Hartz IV stürzt die SPD in ihre schwerste Krise. In der Partei wird Kritik an Maas laut. Er sei "zu rational", er müsse "frecher werden". "Das hat mich lange verunsichert", sagt Maas. Und er fragt sich: "Muss ich mich verändern?"

Vier Wochen vor der Landtagswahl 2004, bei der die SPD erneut Verluste macht, fordert der offizielle SPD-Wahlkampfgehilfe Lafontaine im "Spiegel" Kanzler Gerhard Schröder zum Rücktritt auf. Anschließend demonstriert er in Leipzig gegen Hartz IV und bricht so alle Absprachen mit Spitzenkandidat Maas. "Das war das Verletzendste, was ich je in der Politik erlebt habe", sagt Maas. Es ist sein Tiefpunkt. Lange ringt er mit sich, mit versteckter Kritik und Enttäuschung. Dass ihn etwas verletzt hat, "hört man nur in kleinen Zwischentönen raus. Er macht viel mit sich selbst aus", sagt die SPD-Politikerin und langjährige Weggefährtin Cornelia Hoffmann-Bethscheider. 2008 fällt Maas, inzwischen zweifacher Familienvater, eine Entscheidung: "Ich habe keine Lust, mich zu verstellen. Entweder ihr nehmt mich so, wie ich bin, oder ihr lasst es", erzählt er. Etwa zu dieser Zeit beginnt Maas mit dem Triathlon-Sport. Er erreicht beachtliche Zielzeiten.

"Heiko Maas hat vielleicht eine etwas zurückhaltendere Art, aber dafür ist er authentisch und nicht so ein Blender und Wichtigtuer wie viele andere Politiker", sagt der früherer SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt heute. Andere sehen in dieser "Art" den Ursprung für eine mangelnde Volksnähe. Richtig ist, dass Maas Smalltalk à la Peter Müller nicht leicht fällt. Beim Straßenwahlkampf mit SPD-Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier trifft Maas in der Saarbrücker Europagalerie auf ein Paar, das er offenbar vom Sehen kennt. "Na, wie geht's", fragt Maas. Das Paar ist sichtlich verdutzt ob der geballten Aufmerksamkeit von Politprominenz und begleitenden Journalisten, die sie alle erwartungsfroh anstarren. "Jo . . .", entfährt es dem Paar zögerlich. Es entsteht eine Pause, die sich zu einem peinlichen Moment dehnt, und den Maas nicht anders zu retten weiß, als sich mit einem "ja dann, wir sehen uns" zu verabschieden.

Sein derzeitiges "Runner's High" hat ihn allerdings spürbar gelockert: Erstmals ist das Ziel, Ministerpräsident zu werden, zum Greifen nahe - und zum Spitzenkandidaten ist er mit 100 Prozent gewählt worden. Darauf angesprochen, kickt Maas im Lauf einen kleinen Ast vom Pfad in die Büsche: "Ja, geil", bricht es aus ihm hervor. "Das ist zehn Mal mehr als drei Stunden Applaus. Weil das echt ist. Und ehrlich." Zwei Attribute, die ihm sehr wichtig sind. Anders ist sein Werdegang, und wie offen er darüber spricht, wohl auch nicht zu erklären. Dass er eine Koalition mit Lafontaines Linkspartei ausschließt, findet in der SPD zwar nicht nur Befürworter. Für Maas aber ist es persönlich wie politisch ein Befreiungsschlag. "Lafontaine spielt keine Rolle mehr", sagt er. Und der andere, der verletzt hat, Grünen-Chef Ulrich, zollt Maas heute Respekt: "Dass er über lange Zeit eine nicht gerade einfache SPD durch eine ebenfalls nicht gerade einfache politische Situation geführt hat, zeugt von Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit."

Auf dem Laufpfad an der Saar taucht in der Ferne der Ruderclub wieder auf. Heiko Maas setzt zum Endspurt an. "Lafontaine spielt keine Rolle mehr."

Heiko Maas über sein Verhältnis zu dem Linkspartei-

Politiker

Zur Person

Heiko Maas, geboren am 19. Sept. 1966 in Saarlouis, arbeitet nach dem Abitur 1987 ein Jahr bei den Ford-Werken. Danach absolviert er ein Jura-Studium. Er tritt 1989 in die SPD ein, seit 1994 sitzt er im Landtag. 1996 wird er Staatssekretär, 1998 Umweltminister, 2000 SPD-Landeschef. Er gehört Vorstand und Präsidium der Bundes-SPD an. Maas wohnt in Saarlouis, ist verheiratet und hat zwei Kinder. jos

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