Deutscher Ärztetag Erfurt Der Arzt, der aus dem Bildschirm kommt

ERFURT · Digital zum Doktor: Das soll bald für mehr Patienten möglich werden. Die Ärzteschaft berät heute, wie weit Telemedizin gehen soll.

 Der Patient ist daheim, der Arzt per Video zugeschaltet: Ob die Regeln hierfür gelockert werden sollen, berät der Deutsche Ärztetag in Erfurt.

Der Patient ist daheim, der Arzt per Video zugeschaltet: Ob die Regeln hierfür gelockert werden sollen, berät der Deutsche Ärztetag in Erfurt.

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Klicken für die Gesundheit: Wenn es um ihr Befinden geht, sind Millionen Bundesbürger längst digital unterwegs. Infos bei Beschwerden suchen viele erst mal im Internet, der Markt für Handy-Apps wächst. Wenn direkt ein Arzt benötigt wird, sind Medizinern in Deutschland aber bisher Schranken gesetzt: Einfach nur online oder am Telefon behandeln dürfen sie nicht. Der 121. Ärztetag, der an diesem Dienstag in Erfurt beginnt, soll wohl eine – behutsame – Freigabe beschließen. Das soll den Patienten Wartezeiten ersparen und auch neue Versorgungsangebote auf dem Land ermöglichen. Total digital werden wollen die Ärzte aber nicht.

„Neue Methoden mit Kamera und Videoübertragung können vieles deutlich erleichtern“, sagt Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery. Für eine schnellere Kommunikation sollten daher jetzt Möglichkeiten eröffnet werden, sagt er. Konkret geht es um mehr „ausschließliche“ Fernbehandlungen, die das Berufsrecht bisher untersagt – also wenn Ärzte den Patienten nicht zumindest einmal persönlich vor sich gehabt haben. Nach einer Vorlage der Bundesärztekammer, über die der Ärztetag abstimmt, sollen reine Fernbehandlungen künftig „im Einzelfall“ erlaubt sein – aber nur, wenn es „ärztlich vertretbar“ und die Sorgfalt gewahrt ist.

Unumstritten ist eine solche Lockerung nicht. Vielen Ärzten ist der persönliche Kontakt schlicht unverzichtbar. An diesem „Goldstandard“ ärztlichen Handelns solle auch nichts geändert werden, versichert Montgomery. „Schließlich steckt in ‚Behandlung’ ja schon das Wort Hand. Das zeigt, dass es ohne direkten Kontakt in den allermeisten Fällen nicht geht.“ Einiges verbessern könne digitale Technik aber schon, argumentiert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Weniger Wege und Wartezeiten für Patienten in großen Städten und mehr schnelle Arztkontakte in dünn besiedelten Regionen.

Ganz bei Null startet die Zunft dabei nicht. In Baden-Württemberg läuft etwa das Modellprojekt „Docdirect“, bei dem Patienten elektronische Arzt-Beratung erhalten. Auch in Rheinland-Pfalz und im Saarland laufen Projekte, bei denen zum Beispiel Patienten ihre Daten digital an ihren Arzt durchgeben. Unterstützt wird der Fortschritt auch von den beiden Landesregierungen. So fördert das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium Telemedizin-Projekte im Rahmen eines Zukunftsprogramms, für 2017/18 nach eigenen Angaben mit 2,1 Millionen Euro. Und auch im saarländischen Regierungsprogramm ist die „Unterstützung telemedizinischer Projekte“ verankert.

Ebenso bieten Mediziner in Deutschland bereits Videosprechstunden für Patienten, die sie kennen. So macht es etwa Christine Zollmann. Mit ein paar Klicks loggt sich die Hautärztin in ihrer Gemeinschaftspraxis in Jena in ein Programm ein. Dann sieht sie einen jungen Mann auf dem Bildschirm. „Zeigen Sie mir bitte Ihre Hand“, sagt sie freundlich. Zwei- bis dreimal pro Woche hat sie so Kontakt mit Patienten – meist abends nach 18 Uhr.

Die Dermatologin und Venenspezialistin nutzt Videosprechstunden, um den Behandlungsverlauf bei Hauterkrankungen und chronischen Wunden zu kontrollieren. Seit Sommer 2017 vergüten gesetzliche Krankenkassen solche Angebote – für bestimmte Erkrankungen und einzelne ärztliche Fachgruppen. Auch private Internet-Portale werben mit ärztlicher Expertise.

Ärztevertreter und Politik machen keinen Hehl daraus, dass immer mehr Online-Dienste ein Grund dafür sind, stärker selbst in die Offensive zu gehen. „Es kommt auch Druck von außen“, sagt Ärztechef Montgomery. „Wir wollen lieber, dass so etwas in unserem System und am besten in Deutschland gemacht wird – mit unseren Haftungs- und Berufsregeln.“ Wenn der Ärztetag grünes Licht gibt, müssen noch die Landesärztekammern eine stärkere Freigabe in den verbindlichen Berufsordnungen umsetzen. Schleswig-Holstein ist schon vorgeprescht.

Mit völlig neuen digitalen Zeiten rechnet dennoch kaum jemand. „Es wäre schwierig, wenn es Skype-Doktoren gäbe, mit denen Patienten nur über das Internet und mit hingehaltener Kamera Kontakt haben“, meint Kassenärzte-Chef Andreas Gassen. „Es wird nie so sein, dass die Patienten nicht kommen müssen“, sagt auch Hautärztin Zollmann. Wichtig sei vor allem der erste Kontakt. „Ich muss die Patienten anfassen, Hautveränderungen mit einem Vergrößerungsgerät anschauen und bei Schmerzen im Bein eine Ultraschalluntersuchung machen.“

Probleme in der Gesundheitsversorgung ließen sich nicht nur digital lösen, mahnen Experten. „Auch in ländlichen Regionen mit Ärztemangel darf die Videosprechstunde nur eine zusätzliche Option und kein Ersatz für die ärztliche Versorgung vor Ort sein“, sagt der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warnt: „Kommen Online-Sprechstunden in Mode, werden Hausbesuche nicht nur im ländlichen Raum noch seltener.“ Etwa bei Pflegebedürftigen sei der Arzt aber „auf alle seine Sinne angewiesen“.

 Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Der Digital-Kontakt sei auch nicht für jeden Patienten etwas, sagt Ärztin Zollmann. „Vor allem die Älteren wollen den Arzt persönlich sehen.“ Gerade in dünn besiedelten Gebieten fehle zudem oft schnelles Internet, sagt auch Kassenärzte-Chef Gassen: „In ländlichen Regionen haben wir überhaupt nicht die Voraussetzungen, um Telemedizin in großem Maßstab zu machen.“

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