Der Aktivposten der SPD

Berlin · Die große Koalition stritt kurz, aber heftig um den Mindestlohn. Im Bundestag erhält das Gesetz von SPD-Ministerin Nahles nun große Zustimmung. Nach der Rente mit 63 wieder ein großer Erfolg für die Arbeitsministerin.

Andrea Nahles sitzt längst wieder auf der Regierungsbank, aber der rhythmische Beifall in den SPD-Reihen will kein Ende nehmen. Die Abgeordneten sind geradezu euphorisiert von der eben gehörten Rede ihrer Vorzeige-Genossin. Die Arbeitsministerin genießt den langen Applaus und winkt lachend in den Saal.

Es ist wieder einmal ganz ihr Tag. Gerade erst trat die abschlagsfreie Rente mit 63 in Kraft. Und jetzt verabschiedet der Bundestag das Gesetz zum Mindestlohn . Zwei Herzens-Anliegen der Sozialdemokraten binnen kürzester Frist verwirklicht. Zwei Großprojekte, die untrennbar mit ihr persönlich verbunden sind. Das macht Andrea Nahles nicht nur in der eigenen Truppe zum politischen Aktivposten. Auch in der schwarz-roten Kabinettsriege steht die 44-jährige Rheinland-Pfälzerin mit ihren Erfolgen ganz oben. Gleichrangig mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. "Sie hat eine Super-Bilanz", schwärmt die SPD-Parlamentarierin Katja Mast. Für ihre Parteikollegin Carola Reimann ist Nahles "eine großartige Frau in vielen Funktionen". Ein kleiner Fingerzeig, dass manche der hoch Gelobten durchaus noch höhere Weihen zutrauen. Parteichefin vielleicht oder irgendwann Kanzlerkandidatin.

Aber jetzt ist Nahles mit Leib und Seele Arbeitsministerin. Den Job wollte die Mutter einer inzwischen dreijährigen Tochter immer haben. Wohl wissend, dass er eine nervenaufreibende Veranstaltung sein kann. Doch Nahles ist machtbewusst und eine Kämpfernatur. Und sie kann selbst gehörig nerven. Das musste auch schon mancher SPD-Vorsitzende leidvoll erfahren. Die Agenda 2010 von Gerhard Schröder fand Nahles furchtbar. Auch in aller Öffentlichkeit. Genauso die Rente mit 67 von Franz Müntefering, mit dem sie sich 2005 in einem Showdown um die Besetzung des Generalsekretär-Postens überwarf. Am Ende hat sich Nahles immer durchgebissen.

Wie jetzt auch beim Mindestlohn-Gesetz. Bereits Mitte Januar, also nur einen Monat nach der schwarz-roten Regierungsübernahme stand die Vorlage in ihren Grundzügen fest. Anfang April machte das Kabinett einen Haken drunter. In den vergangenen Wochen allerdings kam der Motor merklich ins Stottern. Zahlreiche Lobby-Gruppen setzten alles daran, noch weitere Ausnahmen ins Gesetz zu drücken. "Wir haben hart gerungen", sagt Nahles in ihrer Bundestagsrede und bemerkt trotzig, dass keine einzige Branche vom Mindestlohn ausgenommen werde. Alles andere sei "Kokolores". Klartext kann sie. Dabei gibt es zumindest Übergangsreglungen, die es gestatten, zum Beispiel Erntehelfern oder Zeitungsausträgern noch bis Ende 2016 weniger als 8,50 Euro zu zahlen. Als Linken-Fraktionsvize Klaus Ernst der Ministerin deshalb vorwirft, "von einem allgemeinen Mindestlohn meilenweit entfernt" zu sein, macht Nahles mit ihrem Arm eine Scheibenwischer-Bewegung. Soll heißen: Bei dem piept's wohl. Ja, sie kann auch arrogant sein.

Dabei hätte sich Nahles selbst ein strengeres Gesetz gewünscht. Doch Sigmar Gabriel bremste den Eifer seiner Parteifreundin. Auf internen Geheiß des SPD-Chefs musste Nahles am Ende zurückstecken und der Wirtschaftslobby noch etwas entgegen kommen. Allerdings um den Preis, nun das Gewerkschaftslager damit massiv zu verärgern. Allen voran Verdi-Chef Frank Bsirke, der den Sozialdemokraten "grobe Wählertäuschung" vorwarf. Noch am Tag vor der Abstimmung im Bundestag trifft sich Nahles deshalb persönlich mit Bsirske, um ihn zu beruhigen. Offenkundig mit Erfolg. Bei der abschließenden Debatte am Mittwoch im Bundestag sitzt der Verdi-Vorsitzende auf der Zuschauertribüne, eingerahmt von Ex-DGB-Chef Michael Sommer sowie dessen Nachfolger Reiner Hoffmann, und lauscht den Ausführungen der Ministerin wie ein gehorsamer Schulbub. Nahles kann also auch Krisenmanagement. Und gelegentlich mal zurückstecken muss ebenfalls kein Bremsklotz für ihre weitere Karriere sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort