Den Menschen schöne Augen machen

Saarbrücken. Der 20. Mai 1986 ist ein lauer, sonniger Frühlingstag. Und ein Datum, das sich in das Gedächtnis von Manfred S. unauslöschlich eingebrannt hat: Am Nachmittag jenes Tages beschließt der damals 40-jährige Heimwerker, den hässlich braunen Rostflecken am Außengeländer seines Hauses zu Leibe zu rücken

 Ein Fundus von etwa 4000 selbstgefertigten Glasaugen-Rohlingen steht Ferdinand Förster zur Verfügung. Zu Prothesen verarbeitet sind die Kunstaugen allerdings nicht mehr kugel-, sondern schalenförmig. Fotos: Oliver Dietze

Ein Fundus von etwa 4000 selbstgefertigten Glasaugen-Rohlingen steht Ferdinand Förster zur Verfügung. Zu Prothesen verarbeitet sind die Kunstaugen allerdings nicht mehr kugel-, sondern schalenförmig. Fotos: Oliver Dietze

 Ocularist Förster bläst ein wenig Luft in den Augen-Rohling.

Ocularist Förster bläst ein wenig Luft in den Augen-Rohling.

 Mit einem farbigen Glasstäbchen werden feine Strukturen in die Regenbogenhaut der künftigen Glas-Prothese gezeichnet.

Mit einem farbigen Glasstäbchen werden feine Strukturen in die Regenbogenhaut der künftigen Glas-Prothese gezeichnet.

Saarbrücken. Der 20. Mai 1986 ist ein lauer, sonniger Frühlingstag. Und ein Datum, das sich in das Gedächtnis von Manfred S. unauslöschlich eingebrannt hat: Am Nachmittag jenes Tages beschließt der damals 40-jährige Heimwerker, den hässlich braunen Rostflecken am Außengeländer seines Hauses zu Leibe zu rücken. Kaum hat er die Schleifmaschine angesetzt, schießt ihm ein schneidender Schmerz durchs linke Auge. Die Schutzbrille, saust es Manfred S. jetzt durch den Kopf, die hat er völlig vergessen. Der winzig kleine heiße Metallsplitter, der sich durch die Augen-Hornhaut des Hobby-Handwerkers gebrannt hat, zieht eine zermürbende Kranken-Odyssee nach sich - mit ebenso schmerzhaften wie hartnäckigen Entzündungen. Das Auge ist lichtempfindlich, der Familienvater hält sich tagsüber im Haus auf - hinter heruntergelassenen Rollläden. Seinem Arbeitgeber flattert ein Krankenschein nach dem anderen ins Haus. Die Entzündungsherde sind nicht mehr in den Griff zu bekommen. Ultima ratio der Ärzte: Das Auge muss entfernt werden. Manfred S. ist entsetzt, willigt erst nach geduldigem Zureden in die Operation ein. Nach der so genannten Enukleation wird ihm ein Implantat eingesetzt, das die Augenhöhle "auspolstert" und das - mit den natürlichen Muskeln verbunden - beweglich ist. Es dient als Auflage für ein Kunstauge, das von einem Ocularisten speziell für Manfred S. angefertigt wird. Und er hat Glück im Unglück: Das Kunstauge fällt auf den ersten Blick kaum auf.Das ist nicht immer der Fall: Die anatomischen Gegebenheiten nach medizinisch notwendigen Eingriffen setzen dem Ocularisten gelegentlich Grenzen. "Leider ist nicht jeder Patient so optimal zu versorgen", bedauert Ferdinand Förster, Chef des einzigen Instituts für Augenprothesen im Saarland. Försters Handwerk ist hochdiffizil - und es erfordert psychologische Begabung, denn für die meisten Menschen ist ein Verlust des Auges ein traumatischer Einschnitt. Auch das ist sicherlich einer der Gründe, warum die Ausbildung zum Ocularisten sechs Jahre in Anspruch nimmt. Förster leitet das Institut seit 1977, seit 1983 ist er Inhaber - mit Filialen in Homburg und Ludwigshafen. In Saarbrücken beschäftigt er noch drei weitere Mitarbeiter.Als der gebürtige Wiesbadener in Saarbrücken begann, setzte sich sein Patientenstamm noch zu einem großen Teil aus Kriegsversehrten zusammen. Das hat sich im Laufe der Zeit freilich geändert. Zurückgegangen seien durch Strukturveränderungen im Saarland und dank der Entwicklung weitreichender Arbeitsschutz-Maßnahmen auch Unfälle in Stahl-, Montanindustrie und im Handwerk, sagt Förster. Selbst die Anzahl der Patienten nach Verkehrsunfällen habe sich durch die fortschreitende Sicherheitstechnik bei Fahrzeugen und im Straßenverkehr merklich reduziert.Ein Großteil von Försters Patienten hat durch schwere Krankheiten wie Tumore, Grüner Star, Diabetes mellitus oder auch Thrombosen ein Auge verloren. Manch einer auch durch Gewalteinwirkung: "Ein blaues Auge nach Schlägereien, so etwas gab es ja immer schon", sagt Förster. Heute sei die Hemmschwelle bei Handgreiflichkeiten ganz offensichtlich niedriger, die Verletzungen entsprechend schwerwiegender. Försters Augen-Prothesen sind feinste Maßarbeit aus Glas. Und anders als gemeinhin angenommen, sind die Kunstaugen nicht kugel-, sondern schalenförmig mit Einbuchtungen an den Rändern, die der Anatomie der Augenhöhle angepasst sind. Und immer ist der Patient bei der Herstellung seiner Prothese selbst anwesend. Förster ist es wichtig, das künstliche Auge "im engen Dialog mit dem Patienten" zu entwickeln. Struktur und Pigmentierung der Regenbogenhaut (Iris), Größe der Pupille und auch die exakte Farbe des Augenweiß', all das muss der Ocularist mit dem noch gesunden Auge exakt abgleichen. Dazu kann er nicht zuletzt auch auf einen Fundus von rund 4000 Rohlingen zurückgreifen.Da sich die Oberfläche der Glasprothese durch die Reibung von Staubpartikeln im Laufe der Zeit abnutzt, hat jeder Patient einmal pro Jahr Anspruch auf ein neues Kunstauge. So auch Werner H., der seit 2003 regelmäßig zu dem Saarbrücker Ocularisten kommt. Er litt damals an einer besonders aggressiven Form des Grünen Stars. Neun Mal, sagt Werner H., sei er operiert worden. "Die schlimmen Schmerzen durch den erhöhten Augeninnendruck, die ständige Lichtempfindlichkeit sind für mich zu einer so schweren Belastung geworden, dass ich mich schließlich entschlossen habe, das Auge entfernen zu lassen", sagt der 54-jährige Familienvater aus dem Nordsaarland.Probleme psychischer Art hatte er mit der Prothese von Anfang an nicht. Geduldig beobachtet er, wie Förster einen Rohling mit einem speziellen Bunsenbrenner bearbeitet. Mit starker Flamme modelliert der Ocularist den Körper der Prothese, formt dann die Vorwölbung der Iris. Immer wieder dreht er den Rohling und bläst ihn ein wenig auf durch die so genannten Handhabe, ein etwa zehn Zentimeter langes Röhrchen. Für die Feinarbeit erhitzt Förster farbige Glasstäbchen. Mit einem dunklen Exemplar umreißt er die Regenbogenhaut (Iris) malt die Pupille auf. Dann zeichnet er mit haarfeinen Glasfäden Struktur und Pigmente in die Iris ein, versieht das Augenweiß mit feinsten roten Äderchen. Anschließend wird die inzwischen hauchdünne, aber noch heiße Prothese in einem Schonverfahren abgekühlt. Ein echtes Kunsthandwerk - "aber ohne künstlerische Freiheiten, denn wir haben ja präzise Vorgaben durch das vorhandene Auge", sagt Förster. Rund 330 bis 450 Euro kostet eine Glasprothese. Je nach Aufwand kann sie wesentlich teurer ausfallen. Vorgaben bekommt der Ocularist häufig von Augenchirurgen der umliegenden Krankenhäuser, mit denen er eng zusammenarbeitet. Försters wichtigstes Ziel ist es, "dem Patienten nach einem langen Leidensweg wieder zu einem guten Aussehen und damit zu neuer Lebensqualität zu verhelfen".Seine Profession hat Förster inzwischen sogar zum Hobby gemacht: Für die Arbeiten der Pariser Künstlerin Elisabeth Daynes, die Gestalten der Menschheitsgeschichte lebensecht ("hyperrealistisch") nachbildet, stellt er die Augen her. Und auch hier arbeitet er mit exakten Vorgaben - ohne künstlerische Freiheit. "Vor allem möchte ich Patienten nach einem langen Leidensweg zu neuer Lebensqualität verhelfen."Ocularist Ferdinand FörsterOcularist Ferdinand Förster

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort