Den Euro im Nacken

Karlsruhe. Es ist selten, dass jemand den Richtern des Verfassungsgerichts in einer Verhandlung sein Mitgefühl ausspricht. Bei der Verhandlung über den Euro-Rettungsschirm gestern passierte es zweimal: "Diesmal beneidet Sie niemand, denn jeder ahnt, vor welcher schwierigen Aufgabe Sie stehen", sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi

 Wo sonst der Bundesadler im Verfassungsgericht in Karlsruhe hängt, prangt auf dieser Fotomontage ein riesiges Euro-Stück. Die Entscheidung der Richter um Präsident Voßkuhle könnte schwerwiegende Folgen für die Währung haben. Fotos: dpad, interfoto; Montage: Robby Lorenz

Wo sonst der Bundesadler im Verfassungsgericht in Karlsruhe hängt, prangt auf dieser Fotomontage ein riesiges Euro-Stück. Die Entscheidung der Richter um Präsident Voßkuhle könnte schwerwiegende Folgen für die Währung haben. Fotos: dpad, interfoto; Montage: Robby Lorenz

Karlsruhe. Es ist selten, dass jemand den Richtern des Verfassungsgerichts in einer Verhandlung sein Mitgefühl ausspricht. Bei der Verhandlung über den Euro-Rettungsschirm gestern passierte es zweimal: "Diesmal beneidet Sie niemand, denn jeder ahnt, vor welcher schwierigen Aufgabe Sie stehen", sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi. Der SPD-Abgeordnete Peter Danckert, der bereits die Regelung über das umstrittene Neuner-Gremium in Karlsruhe zu Fall gebracht hatte, sagte mit Blick auf die Ermahnungen Richtung Karlsruhe: "Da wird Stimmung gemacht. Ich weiß gar nicht, wie man das an Ihrer Stelle aushalten kann."Es war wohl allen Beteiligten klar: Bei der Entscheidung über den Euro-Rettungsschirm ESM und den europäischen Fiskalpakt sind die Einsätze hoch. Ein Stopp des Rettungsschirms könne zu "erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen" führen, "mit nicht absehbaren Folgen für die Bundesrepublik", warnte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Später sprang ihm Volker Beck bei, der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen. Die Abgeordneten hätten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. "Die Frage war: Riskieren wir ein Scheitern des Euro und damit eine große wirtschaftliche Rezession?", sagte Beck. "Wir haben auch die Kladderadatsch-Variante erwogen." Doch wenn der Euro scheitere, glaubt Beck, "stellt sich insgesamt das Einigungsprojekt der Europäischen Union infrage".

Das Feld der in Karlsruhe klagenden Kritiker ist bunt. Darunter Euro-Phobiker wie der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider: "So wichtig ist die Euro-Rettung nun wirklich nicht", meinte der emeritierte Professor. "Es würde ein gutes Werk getan werden, wenn die Völker Europas von dieser Bedrückung befreit würden."

Geklagt haben auch die Bundestagsfraktion der Linken, rund 12 000 Bürger unter dem Schirm des Vereins "Mehr Demokratie" und der CSU-Politiker Peter Gauweiler. Alle klagen mit ähnlichen Argumenten: Rettungsschirm und Fiskalpakt führten dazu, dass dem Bundestag die Kontrolle über den Haushalt entgleitet; deshalb seien sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Und wenn Deutschland die Verträge ratifiziert, lasse sich das nicht mehr rückgängig machen.

Doch während Gauweilers Prozessvertreter Dieter Murswiek vor einer "Haftungsunion" warnt, lässt Gysi durchblicken, dass ihm eine Abstimmung über ein neues Grundgesetz recht wäre, weil man dann auch soziale Grundrechte in die Verfassung schreiben könnte.

Die Richter ließen in der Verhandlung kein einheitliches Meinungsbild erkennen. Der Senatsvorsitzende Andreas Voßkuhle fragte kritisch nach: Inwieweit hätten die Abgeordneten bei ihrer Entscheidung andere Risiken berücksichtigt, etwa aus dem provisorischen Rettungsschirm und der Europäischen Zentralbank? Was passiere, falls der Rettungsschirm ESM selbst in Probleme gerate? Sei das nicht mit der Krise einer "systemrelevanten Bank" vergleichbar? Könnte sich Berlin dann Forderungen entziehen, Geld nachzuschießen?

Auch die Experten gaben den Richtern wohl nur bedingt Orientierung. Während der Ökonom Hans-Werner Sinn vor einem "Fass ohne Boden" bei den Rettungsmaßnahmen warnte, hielt Bundesbankpräsident Jens Weidmann jede Folgenabschätzung für "höchst spekulativ". Es sei nicht auszuschließen, "dass schlechte Nachrichten erneut die Unsicherheit erhöhen und sich die Krise weiter zuspitzt", meinte Weidmann.

Die Richter werden sich ihre Entscheidung nicht leicht machen. Voßkuhle ist sich der Signalwirkung bewusst, die selbst ein vorläufiger Stopp der Maßnahmen hätte. Der Senatsvorsitzende brachte daher eine Variante ins Spiel: Das Gericht könnte sich mit der Eilentscheidung mehr Zeit lassen, um nicht nur - wie sonst im Eilverfahren üblich - eine Folgenabwägung vorzunehmen, sondern eine "sehr sorgfältige summarische Prüfung". Das System zur Euro-Rettung, meinte Voßkuhle, sei "eine relativ komplexe Anlage, die es auch dem Gericht schwer macht, Boden unter den Füßen zu gewinnen". "So wichtig ist die Euro-Rettung nun wirklich nicht."

Karl Albrecht

Schachtschneider

Hintergrund

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro Mitgliedstaaten der Eurozone unterstützen, die finanzielle Probleme haben. Der ESM tritt in Kraft, sobald ihn so viele Mitgliedstaaten ratifiziert haben, dass sie mit ihren Anteilen 90 Prozent des Stammkapitals stellen. Bisher haben 13 der 17 Euro-Länder den ESM ratifiziert: Griechenland, Portugal, Slowenien, Frankreich, Spanien, Zypern, Finnland, Belgien, die Slowakei, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Österreich.

 Wo sonst der Bundesadler im Verfassungsgericht in Karlsruhe hängt, prangt auf dieser Fotomontage ein riesiges Euro-Stück. Die Entscheidung der Richter um Präsident Voßkuhle könnte schwerwiegende Folgen für die Währung haben. Fotos: dpad, interfoto; Montage: Robby Lorenz

Wo sonst der Bundesadler im Verfassungsgericht in Karlsruhe hängt, prangt auf dieser Fotomontage ein riesiges Euro-Stück. Die Entscheidung der Richter um Präsident Voßkuhle könnte schwerwiegende Folgen für die Währung haben. Fotos: dpad, interfoto; Montage: Robby Lorenz

Den Fiskalpakt mit strengeren Haushaltsregeln haben 25 von 27 EU-Staaten unterzeichnet. Großbritannien und Tschechien ziehen nicht mit. Der Fiskalpakt muss noch in nationales Recht umgesetzt werden und soll bis 2013 in Kraft treten. Mindestens zwölf Euro-Länder müssen ihn ratifizieren. Bisher haben die fünf Euro-Länder Portugal, Slowenien, Griechenland, Spanien und Österreich den Pakt ratifiziert, dazu Dänemark, Lettland, Litauen und Rumänien. dpa

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