Demut, Humor und Harley-Davidson

Rom · Jorge Mario Bergoglio ist jetzt seit 100 Tagen Papst. Der Pontifex aus Argentinien hat von seinem ersten Auftritt an Akzente gesetzt und seinen Stil im Vatikan eingeführt. Reformen aber brauchen Zeit.

Seine Wahl zum Papst war eine Sensation. Erstmals in der langen Geschichte der katholischen Kirche bestieg ein Jesuit den Stuhl Petri. Auch kam noch nie ein Pontifex aus Lateinamerika. Dann legte der Argentinier los: Vom ersten Auftritt vor den Gläubigen an zeigte sich Papst Franziskus offen, humorvoll, bescheiden. Der neue Stil begeistert die Massen, die auch nach den ersten drei Monaten des Pontifikats bei der Generalaudienz den Petersplatz überfluten. An diesem Freitag ist es 100 Tage her, dass weißer Rauch aufstieg.

Der "Hoffnungsträger" aus Buenos Aires hat die Herzen der Katholiken offensichtlich erobert - der frische Wind der Demut tut vielen gut. Schon sein ungewöhnlicher Papst-Name ist Programm, weist er doch auf den Heiligen Franz von Assisi hin, der für den Schutz von Natur und Umwelt steht, aber auch für den Kampf gegen die Armut. Und den nahm Franziskus auch mit Breitseiten gegen den Kapitalismus auf. Große Gesten und Worte, doch noch fehlen die Weichenstellungen.

Während Franziskus seine Weltkirche vor der Verkalkung warnt, Korruption und Geldgier anprangert, braucht eines sicherlich noch sehr viel Zeit: die dringend notwendige Reform der erstarrten Kurie in Rom, die unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. auch von tiefsten inneren Krisen wie dem "Vatileaks"-Skandal erschüttert worden ist.

"Ich selbst bin sehr unorganisiert, aber die damit beauftragten Kardinäle bringen das voran", sagt Franziskus. Acht Kardinäle aller Kontinente sollen Reformen vorschlagen und ihn bei der Leitung der Weltkirche beraten. Auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx ist in dem Gremium, das allerdings nicht vor Anfang Oktober erstmals die Reformen an der Kurie bespricht. Die ihm jüngst zugeschriebene Klage über eine "Schwulen-Lobby" im Vatikan könnte durchaus zeigen, dass Franziskus den Reinigungsprozess der Kirche doch beschleunigen will. Durchaus auch konservativ, dabei aber zugänglicher und weniger theologisch als sein deutscher Vorgänger fordert Franziskus seine Herde ständig auf, "nach draußen" zu gehen, also an die Ränder der Gesellschaft. Die Ärmsten sehnten sich nach Beistand. Fährt der Mann mit weit offenen Armen in seinem offenen Geländewagen auf dem Petersplatz an der Menge der "Brüder und Schwestern" vorbei, wendet er sich immer wieder kleinen Kindern und Kranken zu. Römische Medien spekulierten in einem Fall bereits, dass der 76 Jahre alte Bergoglio dabei sogar eine Teufelsaustreibung (Exorzismus) bei einem Kranken versucht habe.

Er will immer noch nicht im Apostolischen Palast wohnen, zieht die Gesellschaft im Gästehaus des Vatikans vor, bevorzugt weiße Messgewänder und führt so in Rom den schlichten Lebensstil von Buenos Aires fort. Es ist ein persönlicher Kontrast zu dem Prunk in den Vatikan-Basiliken, an dem sich vor allem Nichtkatholiken immer wieder stoßen.

So zieht es Franziskus bisher auch nicht in die Sommerresidenz Castel Gandolfo, die sein Vorgänger so geschätzt hatte, um zu lesen und zu schreiben. Manchmal reisen muss er aber dennoch. Seine erste und gleich intensive Begegnung mit den Gläubigen im Ausland wartet im Juli auf den Papst, wenn er zum katholischen Weltjugendtag nach Rio de Janeiro fährt. Auch dort, das kann man erwarten, wird er vor der Masse junger Leute eine Rückkehr zu den Wurzeln des christlichen Denkens predigen, sie zur Solidarität mit den Ärmsten ermuntern und lächelnd Brücken bauen. Und dabei auch so manches Bonmot einflechten.

Es sind Brücken, wie sie auch seine Kirche der 1,2 Milliarden Katholiken gut gebrauchen kann. Wieweit er in dogmatischen Fragen von dem strikten Kurs seiner Vorgänger abweichen wird, bleibt bei alledem jedoch abzuwarten. In Fragen der Ehelosigkeit der Priester (Zölibat) oder der Abtreibung erscheint der Jesuit Bergoglio im Prinzip auf deren Linie. Es wird also auf die Nuancen ankommen, die ein vielleicht flexibler Papst offeriert.

Das sind Fragen, die vor allem viele Katholiken in Deutschland bewegen: Wird sich dieser Papst bewegen? Der baut derweil aber noch sein Image als unkompliziertes Kirchenoberhaupt aus, das unausgetretene Pfade zu lieben scheint. Jüngstes Beispiel: Er ist jetzt auch stolzer Besitzer zweier Motorräder, die der US-Hersteller Harley-Davidson Franziskus nach einer Generalaudienz schenkte. In den Vatikan-Gärten kann er sie kaum ausfahren. Wobei mancher sich nicht wundern würde, sähe er den Argentinier über Italiens Autostrada brettern.Welchen Eindruck haben Sie nach den ersten 100 Tagen von Papst Franziskus gewonnen?

Gotthold Hasenhüttl: "Er versucht sicher einen anderen Stil zu leben, als das bisher üblich war. Seine offene Art tut der katholischen Kirche sehr gut. Die Frage ist nun, in wieweit er wirklich Strukturveränderungen anstrebt. Die Berater, die er heranzieht, wie etwa Kardinal Marx, deuten nicht gerade auf wirkliche Veränderungen hin.

Ist Papst Franziskus bislang eher ein Mann großer Gesten als großer Taten?

Gotthold Hasenhüttl: Ja. Er hat sich bisher noch kaum ernsthaft geäußert. Problemtisch bei ihm ist beispielsweise, dass er die Ordensfrauen in den USA zu Gehorsam und Unterwerfung unter das Lehramt der katholischen Kirche und der Bischöfe aufgerufen hat. Das zeigt ein hierarchisches Denken. Ernsthafte Strukturveränderungen sind leider von ihm nicht zu erwarten, weil er eine relativ konservative Linie verfolgt. Er könnte auch problemlos einfache Dinge ändern: die Freigabe des Zölibats, in der Kurie aufräumen oder bestimmen, dass der Papst auf Zeit gewählt wird. Aber er ist in gewisser Weise sympathisch, und noch ist ja alles möglich.

Was unterscheidet Papst Franziskus von seinem Vorgänger?

Gotthold Hasenhüttl: Er ist nicht so intellektuell, hat aber eine sehr lockere Art. Es hätten sicherlich auch bedeutend schlimmere Kardinäle gewählt werden können. Keine Frage. Aber Symbolhandlungen alleine bewirken nichts.

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