Dem Wunder auf der Spur

Saarburg. Dr. Theiß öffnet persönlich. Groß gewachsen, schlank, dichtes weißes Haar und schlohweißer Kinnbart. Es ist Mittagszeit, die letzten Patienten sind gegangen und sein Praxisteam ist zu Tisch. Hier am Fruchtmarkt in Saarburg unterhält Rolf Theiß seine Praxis. Spezialgebiet: Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie

 Dr. Rolf Theiß an einem seiner Lieblingsplätze in Saarburg, am Wasserfall des Leukbachs (oben), und vor der Mariengrotte in Lourdes (unten). Fotos: Maurer (2), Theiß

Dr. Rolf Theiß an einem seiner Lieblingsplätze in Saarburg, am Wasserfall des Leukbachs (oben), und vor der Mariengrotte in Lourdes (unten). Fotos: Maurer (2), Theiß

Saarburg. Dr. Theiß öffnet persönlich. Groß gewachsen, schlank, dichtes weißes Haar und schlohweißer Kinnbart. Es ist Mittagszeit, die letzten Patienten sind gegangen und sein Praxisteam ist zu Tisch.

Hier am Fruchtmarkt in Saarburg unterhält Rolf Theiß seine Praxis. Spezialgebiet: Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie. Fünf Tage die Woche und selbst samstags ist der 67-Jährige nach Absprache für seine Patienten da. Und das nicht nur in Saarburg. Regelmäßig ist Theiß in Lourdes. Auch dort bekommt er Patienten zu Gesicht - besondere Patienten, die glauben, an der berühmten Marien-Wallfahrtsstätte durch ein Wunder geheilt worden zu sein.

Der 67-Jährige ist der einzige Deutsche, der dem Comité médical international de Lourdes angehört. Diese internationale Ärztekommission besteht aus rund 25 Fachleuten und begutachtet mögliche Wunderheilungen, die dem ständigen Medizinischen Büro vor Ort gemeldet wurden. Aufgabe der Kommission ist es, eine medizinische Erklärung für solche Heilungen zu finden, beziehungsweise sie auszuschließen. Als "advocatus diaboli" will er sich dann doch nicht wirklich verstanden wissen. "Wenn man will, auf der einen Seite ja. Als jemand, der das Interesse an Wunderheilungen lebendig hält", sagt Theiß. "Ich bin gläubig, aber das ist keine Voraussetzung für die Arbeit im Komitee. Wir fragen ja nicht nach dem warum, also warum eine Krankheit geheilt wurde, sondern nach dem Ob. Die Antwort auf die Frage, ob es Wunder gibt, oder warum es Wunder gibt, hängt immer von der inneren Einstellung ab."

7000 Heilungen sind bislang in Lourdes seit dem angeblichen Erscheinen der Muttergottes im Jahr 1858 dokumentiert, davon sind 2000 außergewöhnliche Heilungen. Aber nur 68 von ihnen hat die katholische Kirche schließlich als Wunder anerkannt. Zuletzt im vergangenen Jahr (siehe Infokasten).

Rolf Theiß kennt die Krankenakte der Luigina Traverso. Der Fall stammt aus dem Jahr 1965, wurde aber offenbar beiseitegelegt und geriet in Vergessenheit. Erst vor drei Jahren wurde bei Nachkontrollen festgestellt, dass der Fall noch nicht abgeschlossen war. "Das ist ungewöhnlich, dass ein Fall so lange liegen bleibt", sagt Theiß. Die Frau ist mittlerweile fast 80, nach wie vor ansprechbar und gesund. "Ein italienischer Kollege hat die Frau erneut untersucht und ein komplettes medizinisches Dossier erstellt. Das ist wie eine kleine Doktorarbeit. Dann haben wir den Fall diskutiert. Am Ende waren wir überzeugt: Ja, das ist glaubhaft, und eine medizinische Erklärung gibt es nicht." Früher musste die Abstimmung im Komitee einstimmig erfolgen, inzwischen reicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Und noch etwas hat sich im Laufe der Jahre geändert: Lange Zeit galt die Vorgabe, dass die Geheilten zu keinem Zeitpunkt vor der Heilung in medizinischer Behandlung waren. "Es gibt heutzutage in Europa so gut wie keinen Menschen, der noch nicht medizinisch behandelt wurde. Deshalb lautet die Formulierung, nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht erklärbar", erläutert Theiß.

Er spricht mit Bedacht, präzise und prägnant, wie man es von einem Wissenschaftler erwartet. Die Arbeit im medizinischen Komitee ist ihm eine Herzensangelegenheit, das wird schnell klar. Es war auch kein Zufall, dass er Mitglied wurde. Er hat seinen Platz gewissermaßen "geerbt". "Seit 1972 bin ich mit meinem Vater nach Lourdes gefahren. Er war auch Chirurg und Mitglied des Komitees. Letzten Endes war er es, der mich dazu gebracht hat, mich dort zu bewerben. Es wäre doch schön, wenn du das weitermachen würdest", hat er mir gesagt. Und wie sein Vater ist er auch bei den Maltesern aktiv, als Stadtbeauftragter für Saarburg.

Theiß stammt aus Kirchen an der Sieg, Abitur hat er in Bingen gemacht, Ausbildung und Arbeit führten ihn nach Köln und Dortmund, wo er bis 1993 als Chefarzt tätig war. Dann entschloss er sich, sich in Saarburg niederzulassen. Bereut hat der Vater von vier Kindern das nie. "Das ist doch hier wie im Urlaub", meint er bei einem Rundgang durch die Altstadt.

Aber trifft er bei seiner Arbeit als Gutachter nicht auch auf Simulanten oder religiöse Eiferer? "Ja", sagt Theiß nachdenklich. "Ich kann mich gut an einen Fall erinnern. Einmal kam eine Engländerin zu uns, sehr euphorisch, und sagte: Ich kann wieder gehen. Jetzt kann ich wieder tanzen. Aber die Frau war insgesamt etwas überdreht, das sah man am Auftritt und der Bewegung. Sie ist sicherlich geheilt worden, aber das war wohl psychosomatisch bedingt. Eine Blockade, die sich durch den Aufenthalt in Lourdes gelöst hat." Aber eben kein Wunder. Im vergangenen Jahr hat das Medizinische Büro dort 34 Zeugnisse von Heilungen aufgenommen, eine durchaus übliche Zahl, wie Theiß bemerkt. Wohlgemerkt, dabei handelt es sich nicht um Wunderheilungen, aber um bemerkenswerte Fälle, wie der eines 1945 geborenen Italieners, der voller Krebs war, wie Theiß sich erinnert, aber geheilt wurde. Das könnte ein Fall sein, den sein Komitee weiterverfolgen wird. "Ich bin katholisch und froh, dass es eine Instanz gibt, die über den Menschen steht und gewisse Werte vertritt. Gerade in Lourdes wird das lebendig gehalten." Ostern wird er mit seiner Frau nicht in Lourdes, sondern bei der Tochter in Tschechien verbringen. Und gründlich, wie er ist, hat er sich schon vorbereitet. "Ich lerne Tschechisch", sagt er. Auf Tschechisch.

Hintergrund

 In solchen Flaschen wird das Wasser von Lourdes aufbewahrt. Ihm wird eine heilende Wirkung zugesprochen.

In solchen Flaschen wird das Wasser von Lourdes aufbewahrt. Ihm wird eine heilende Wirkung zugesprochen.

Um als Wunder anerkannt zu werden, muss eine Heilung unvorhersehbar, unerklärlich und dauerhaft sein. Zuerst prüft das ständige Medizinische Büro in Lourdes die Aussagen der Person, die sich als geheilt bezeichnet. Berücksichtigt wird auch, ob die Heilung einen spirituellen Hintergrund hat, was für die Anerkennung als Wunder Voraussetzung ist. Dann wird ein medizinisches Dossier erstellt, das an das Internationale Ärztekomitee von Lourdes weitergegeben wird. Stuft das Komitee die Heilung als unerklärlich ein, wird das Dossier an eine Kommission des Bistums der betreffenden Person übergeben. Das letzte Wort bei der Anerkennung als Wunder hat der Ortsbischof. jöw

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