Degradierter Gipfel in kühler Atmosphäre

Der Empfang für Wladimir Putin in Brüssel war alles andere als freundlich. „Mörder der Demokratie“ hatten sich Aktivistinnen der Frauenrechtsgruppe Femen auf die blanke Brust geschrieben.

Als Russlands Präsident am Tagungsgebäude eintraf, waren die Nackt-Protestlerinnen zwar bereits abgeführt. Doch auch in den Verhandlungsräumen ging es nicht viel herzlicher zu. Der Konflikt um den Einfluss auf die Ukraine belastet die Beziehungen zwischen der EU und Moskau schwer.

Schon im Vorfeld hatten die EU-Spitzen das Treffen mit Putin deshalb zu einem längeren Mittagessen degradiert - während normale Gipfel mit Russland sonst zwei Tage dauern. Man wolle im kleinen Kreis "Tacheles" reden, hieß es. Und so betonte Kommissionschef José Manuel Barroso in der Abschlusskonferenz den "offenen Austausch" mit Putin. Es sei nichts unausgesprochen geblieben. "Wir verstehen die Dinge nicht immer in derselben Weise wie die Europäer", stellte der russische Gast nüchtern fest.

Für Brüssel ist klar, dass Russlands Präsident für die Eskalation in der Ukraine mitverantwortlich ist. Schließlich brachte sein Druck Präsident Victor Janukowitsch dazu, vom EU-Kurs abzuweichen und ein fertig verhandeltes Partnerschaftsabkommen mit der EU nicht zu unterschreiben, was die Opposition auf die Barrikaden trieb. Putin will die Ukraine als Teil einer von Moskau dominierten Zollunion und zugleich die russischen Marinestützpunkte auf der ukrainischen Krim im Schwarzmeer sichern. Er hat deshalb wenig Interesse daran, dass nun in Kiew eine Demokratie westlicher Prägung etabliert wird.

Putin bestritt in Brüssel jedoch, dass es bei der Ukraine um ein strategisches Ringen zwischen der EU und Russland um Einflusssphären in Osteuropa geht. "Unsere Sorge ist nicht die souveräne Entscheidung der Ukraine, sondern die ökonomischen Folgen", so Putin. Er untermauerte dies mit der Zusage, die versprochenen Finanzhilfen auch im Fall einer Regierungsbildung durch die Opposition zu zahlen. Moskau werde das Angebot nicht rückgängig machen. Die Kredite von 15 Milliarden Dollar seien schließlich dazu da, die Bevölkerung der Ukraine zu unterstützen, nicht die Regierung.

Die Auswirkungen des angestrebten EU-Freihandelsabkommens mit der Ukraine auf die russische Wirtschaft sollen nun von einer bilateralen Expertengruppe von EU und Russland genauer beleuchtet werden - bis zum nächsten Gipfel im Juni. Die Europäer wollen, dass die EU und die Eurasische Union, in der sich nach Putins Willen ab 2015 die Mehrheit der postsowjetischen Republiken unter Moskaus Führung zusammenschließen soll, sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig ergänzen. Außerdem wäre Brüssel bereit, Ländern wie der Ukraine einzuräumen, neben einer Mitgliedschaft in der Eurasischen Union auch ein Freihandelsabkommen mit der EU einzugehen.

Kommissionspräsident Barroso nannte gestern als Ziel die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok - dies müsse Schritt für Schritt auf der Basis offener Märkte und demokratischer Werte geschehen. Wenn die EU mit ihrer östlichen Nachbarschaftspolitik versuche, den Lebensstandard über ihre Grenzen hinaus zu verbessern, sei das nicht gegen Russland gerichtet, es nütze allen.

Dass Machtpoker-Meister Putin sich davon überzeugen lässt, scheint unwahrscheinlich. Er fürchtet, dass Moskau in dem Maße an Gewicht im postsowjetischen Raum verliert, wie die EU dort an Einfluss gewinnt. Darum dürfte Putin auch weiterhin den Einfluss Moskaus in der Ukraine mit allen Mitteln verteidigen. Der Kreml ist ohnehin der Meinung, dass Lösungen nur im Dreiergespräch zwischen Kiew, Moskau und Brüssel zu finden sind - was die EU ablehnt. Gestern kritisierte Putin denn auch deutlich die Bemühungen der Gemeinschaft um eine Vermittlung in der Ukraine. "Je mehr Vermittler es gibt, desto mehr Probleme gibt es", sagt er. "Ich denke, dass die Ukrainer in der Lage sind, das selber zu lösen. Zumindest Russland wird sich niemals einmischen." Zeitgleich gaben die EU-Spitzen bekannt, dass Europas Außenbeauftragte Catherine Ashton wieder unterwegs nach Kiew ist.

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