De Maizière jagt die IS-Schläfer in der Provinz

Berlin/Großhansdorf · Vereitelte Anschläge in Düsseldorf, Attentate in Bayern und nun das: Deutsche Sicherheitsbehörden decken eine mögliche Schläferzelle des IS auf. Spuren führen zu den Paris-Attentätern. Und wieder geht es um Flüchtlinge.

Es ist mitten in der Nacht, als die Polizei zugreift. In einem Wohngebiet im beschaulichen 9000-Einwohner-Örtchen Großhansdorf nordöstlich von Hamburg rücken plötzlich Trupps von Polizisten an. Strahler machen die Nacht zum Tag. Glas klirrt. Spezialeinsatzkräfte steigen in ein dunkelrotes Haus aus Wohncontainern ein, eine Flüchtlingsunterkunft. Ihr Ziel: ein junger Mann, den die IS-Miliz zusammen mit zwei Komplizen nach Deutschland geschleust haben soll, um hier Unheil anzurichten. Die beiden anderen Männer werden ganz in der Nähe festgenommen, in Ahrensburg und Reinfeld - zwei andere kleine Orte zwischen Hamburg und Lübeck. Über 200 Beamte sind im Einsatz. Mehrere Objekte in Schleswig-Holstein und Niedersachsen werden durchsucht.

Monatelang waren Polizisten und Geheimdienstler an dem Trio dran, observierten die Männer, überwachten ihre Kommunikation und sammelten Beweise. Alle drei sollen aus Syrien stammen und Anhänger des Islamischen Staates sein. Junge Männer - 17, 18 und 26 Jahre alt. Nach bisherigen Ermittlungen gab der IS den dreien falsche Pässe, einen Stapel US-Dollar sowie Handys und schickte sie nach Europa. Über die Türkei und Griechenland kamen sie Mitte November 2015 nach Deutschland. Hier sollten sie entweder einen erteilten Auftrag ausführen oder auf weitere Anweisungen warten, sagen die Ermittler.

Es könne sich also um eine "Schläferzelle" handeln, erklärt Innenminister Thomas de Maizière (CDU ), als er mittags - ein paar Stunden nach dem Zugriff - in Berlin vor die Presse tritt. Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen gebe es nicht. Es sei auch zu keinem Zeitpunkt Gefahr von den Männern ausgegangen. "Es musste nur der richtige Zeitpunkt ermittelt werden, damit auch ein Haftbefehl trägt." Die Verdächtigen seien aber die ganze Zeit streng überwacht worden. "Dieser Einsatz hat (...) enorm viele Kräfte gebunden."

Was vor allem aufhorchen lässt: Nach bisherigem Ermittlungsstand gibt es Bezüge zu den Attentätern von Paris, die im vergangenen November in der französischen Hauptstadt ein Blutbad angerichtet hatten. De Maizière sagt, auch die drei Festgenommenen seien über die Balkan-Route nach Europa gekommen, wohl mit denselben Schleppern und mit Pässen aus der gleichen Fälscherwerkstatt wie bei den Pariser Attentätern. Das gibt zu denken. Schon zwischen den Anschlägen von Paris und Brüssel gab es enge Bezüge. Nun also tun sich größere Netzwerke auf. Und die Suche nach weiteren Querverbindungen läuft.

Mehrfach hat der IS schon demonstrativ eigene Leute getarnt als Flüchtlinge nach Europa geschickt. Geheimdienstler sprechen von einer Machtdemonstration. Auch de Maizière meint, die Terrormiliz lege es wohl gezielt darauf an, eigene Leute unter die Flüchtlinge zu mischen, "damit es zu Verunsicherung in Europa und Deutschland kommt". Angewiesen sei der IS auf diesen Weg jedenfalls nicht.

Die Bürger sind angesichts solcher Vorfälle verunsichert. Schon im Juni ließ die Bundesanwaltschaft mehrere syrische Männer festnehmen, die ebenfalls getarnt als Flüchtlinge einreisten, mit konkretem Kampfauftrag der IS-Führung. Sie sollten angeblich einen Anschlag auf die Düsseldorfer Altstadt organisieren. Dann kamen im Juli die Anschläge von Ansbach und Würzburg, begangen von Flüchtlingen. Der eine sprengte sich auf einem Platz vor einem Musikfestival in die Luft und verletzte 15 Menschen. Der andere ging mit Axt und Messer in einer Regionalbahn auf Fahrgäste los und verletzte fünf Menschen.

Die ohnehin hitzige Debatte über die Flüchtlingspolitik wird durch solche Fälle noch aufgeladener. Manch einer stellt Asylsuchende gleich pauschal als Sicherheitsrisiko dar. De Maizière versucht, solchen - auch jetzt wieder erwartbaren - Wortmeldungen zuvorzukommen. "Es ist falsch, Flüchtlinge generell unter Verdacht zu stellen", mahnt er. Ja, die Sicherheitsbehörden bekämen zwar immer wieder Hinweise, dass unter den Flüchtlingen einzelne Terroristen oder Terror-Sympathisanten seien. Polizei und Geheimdienste gingen auch jedem Hinweis nach. Aber die meisten hätten sich nicht bewahrheitet. Aktuell liefen 60 solcher Ermittlungsverfahren, sagt er, "und das bei vielen Hunderttausend neu angekommenen Menschen".

Ohnehin sind Schläfer und "hit teams", also Zellen, die mit konkretem Anschlagsauftrag ins Land kommen, nicht die einzige Bedrohung. Es gibt auch Einzeltäter, die sich hier im Stillen radikalisieren und aus dem Nichts zuschlagen. Und es gibt fanatisierte Rückkehrer aus Dschihad-Gebieten. Ausländer wie Deutsche. Doch in der aufgeheizten Debatte ist oft kein Platz für derlei Differenzierungen. Auch in Reinfeld macht sich ein Einwohner Sorgen um die Folgen der neuen Anti-Terror-Razzien. Nach der Festnahme in dem kleinen Ort sagt er: "Ich habe Angst, dass das politische Klima noch dunkelbrauner wird."

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 Nach Angaben eines Anwohners soll die Polizei in dieser Flüchtlingsunterkunft in Großhansdorf ermittelt haben. Fotos: dpa

Nach Angaben eines Anwohners soll die Polizei in dieser Flüchtlingsunterkunft in Großhansdorf ermittelt haben. Fotos: dpa

Hintergrund Die deutschen Anti-Terror-Razzien haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Anschläge vereitelt: Juni 2016: Drei mutmaßliche IS-Anhänger werden verhaftet, Sie planten wohl einen Anschlag in Düsseldorfs Altstadt. Februar 2016: Die Polizei kommt einer mutmaßlichen Terrorzelle auf die Schliche. Die vier Algerier sollen einen Anschlag in Berlin geplant haben. März 2013: Die Polizei fasst vier Verdächtige aus der Bonner Islamisten-Szene, sie hatten den Chef der rechtsextremen Splitterpartei "Pro NRW" im Visier. April 2011: Ermittler nehmen in Düsseldorf drei al-Qaida-Mitglieder fest, die Sprengstoffanschläge geplant hatten. September 2007: Die islamistische Sauerland-Gruppe mit Bezügen ins Saarland wird gefasst. Zu viert planten sie Anschläge auf Diskos, Flughäfen und US-Einrichtungen. dpa

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