Das zähe Ringen um Kohls geistiges Erbe

Berlin/Ludwigshafen · Hunderte Handakten und Tonbänder lagert Altkanzler Kohl bei sich daheim. Was mit seinem Nachlass geschehen wird, ist ungewiss. Seine Frau will das alleine entscheiden. Für Historiker gehören die Unterlagen in die Archive.

Es ist wie eine Wundertüte. Wenn Historiker den Nachlass einer großen Persönlichkeit übernehmen, wissen sie zunächst nicht, welchen Schatz sie heben werden. Es wird gesichtet, sortiert, analysiert, archiviert. Es gibt Erkenntnisgewinne, auch Korrekturen von Einschätzungen. Über die Jahre entsteht dann ein neues Gesamtbild. Und so freute sich 1998 auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, dass Helmut Kohl ihr nach 16 Jahren im Amt des Kanzlers einen Transporter voller Handakten in ihr Archiv in Sankt Augustin bei Bonn lieferte. Doch 2010 ließ er sie wieder abholen und mit der Begründung zu sich nach Hause in Ludwigshafen-Oggersheim bringen, dass er sie für den vierten Band seiner Memoiren brauche - der bis heute nicht erschienen ist.

Und jetzt ist auch klar, dass neben den Akten auch die 630 Stunden Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen über sein Leben in der Pfalz bleiben. Die führte er mit dem Ghostwriter für seine Erinnerungsbücher, dem Publizisten Heribert Schwan. Entschieden hat dies gestern das Oberlandesgericht (OLG) Köln. Der Altkanzler hatte die Zusammenarbeit mit Schwan abgebrochen, bevor der vierte Band fertig war, und die Herausgabe der Aufnahmen eingeklagt. Völlig zu Recht, urteilten die Richter: "Insgesamt meinen wir, dass der Kläger (Kohl) als Urheber der Tonbandaufzeichnungen zu bewerten ist", sagte der Vorsitzende Richter Hubertus Nolte. Denn die Gespräche, die Schwan mit dem früheren Kanzler geführt habe, seien "in keiner Weise mit einem Interview vergleichbar". Das könne man schon daraus ersehen, dass Kohl des öfteren gesagt habe: "Jetzt machen wir das Tonband aber mal aus", oder: "Das schreiben Sie jetzt aber nicht". Zudem habe der Vertrag für die Memoiren festgelegt, dass Kohl seinen Ghostwriter jederzeit durch einen anderen habe ersetzen können. "Wir konnten nicht von einer gleichberechtigten Zusammenarbeit der Parteien ausgehen."

Rückblende: Der "Kanzler der Einheit" war zwei Jahre lang, 2001 und 2002, von Schwan befragt worden. Auf der Grundlage dieser Gespräche verfasste der Publizist drei Memoirenbände, in denen jedoch nur Kohl als Autor genannt wird. Während der Arbeiten zum vierten und letzten Band kam es zum Bruch. Schwan machte Kohls Frau Maike Kohl-Richter verantwortlich. Er vermutet, dass ihre Ablehnung mit einem Buch, dass Schwan über Kohls erste Frau Hannelore geschrieben hat, zusammenhängt. Dort zeichnete er das Bild einer tieftraurigen, kranken Frau an der Seite des Kanzlers, die sich 2001 das Leben nahm.

Trotz des Bruchs mit Kohl behielt der ehemalige WDR-Redakteur zunächst die Bänder. Doch schließlich klagte Kohl auf Herausgabe und bekam vor dem Kölner Landgericht recht. Das OLG bestätigte nun diese Entscheidung. Sehr zum Leidwesen von Publizist Schwan. Er murrte gestern: "Ich neige dazu, in Revision zu gehen" - also vor den Bundesgerichtshof , die letzte Instanz. Nur: Ein solcher Gang nach Karlsruhe ist kostspielig. Deshalb appelliert er an die Konrad-Adenauer-Stiftung und an ehemalige Weggefährten Kohls aus der CDU wie Norbert Blüm , Heiner Geißler , Bernhard Vogel oder Kurt Biedenkopf , sich an den Kosten zu beteiligen. Und was dann? Schwan verspricht, die Bänder dem Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Verfügung zu stellen - falls sie ihm vom Bundesgerichtshof zugesprochen werden sollten.

Doch genau das steht heute mehr denn je in den Sternen. Genau wie die Antwort auf die Frage, was mit dem Nachlass des Mannes geschehen wird, der Deutschland und die CDU so lang wie kein anderer führte. Wer wird sein "Erbe" künftig archivieren und analysieren? Maike Kohl-Richter erklärte jüngst der "Welt": Sie will, dass Helmut Kohls "Nachlass sicher in die Zukunft getragen wird und in die richtigen Hände kommt". Wen sie damit meinte, erklärte sie allerdings nicht.

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