Beck beklagt „pietätlosen“ Umgang Das unerhörte Leid der Berliner Terror-Opfer

Berlin · SPD-Politiker Beck kritisiert in seinem Abschlussbericht zum Weihnachtsmarkt-Anschlag den „pietätlosen“ Umgang mit den Hinterbliebenen.

(SZ/dpa) In der Nacht nach dem Berliner Terroranschlag fuhren verzweifelte Angehörige von Krankenhaus zu Krankenhaus, um Angehörige zu finden. Lange Ungewissheit gab es auch, weil Tote zum Teil erst nach drei Tagen identifiziert waren, obwohl sie einen Ausweis bei sich hatten. Nach der Obduktion wurden Rechnungen an Hinterbliebene gleich mit einem Mahnhinweis verschickt. Das seien furchtbare Erfahrungen gewesen, die sich nicht wiederholen dürften, sagte der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Kurt Beck, gestern in Berlin, als er seinen Abschlussbericht zum Attentat von Anis Amri vorstellte.

Fast genau ein Jahr ist es jetzt her, als der Tunesier mit einem Lkw in den Weihnachtmarkt am Breitscheidplatz raste. Es war der bislang schwerste islamistisch motivierte Terroranschlag in Deutschland. Zwölf Menschen starben. Dutzende wurden zum Teil schwer verletzt. Sie und ihre Angehörigen kämpfen bis heute mit den körperlichen und seelischen Belastungen – und der Enttäuschung über Behörden-Wirrwarr und spärliche Entschädigungen.

Wer Becks Faktensammlung liest und die von Beck dringend angeratenen Konsequenzen, der kann nur zu dem Schluss kommen, dass das Land auch nicht im Entferntesten auf einen Terroranschlag dieses Ausmaßes vorbereitet war. Es begann schon damit, dass Betroffene unmittelbar nach der Bluttat am 19. Dezember 2016 gar nicht wussten, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden könnten. Dann die quälend langen Verfahren bei der Identifizierung der Opfer.

Hinzu kam eine erschütternde Pietät­losigkeit: Von der Berliner Charité erhielten Anverwandte Rechnungen für die Obduktion, die „sofort fällig“ gestellt wurden. Für die Angehörigen sei all das eine „furchtbare Erfahrung“ gewesen, sagte Beck. Ein weiterer Schwachpunkt war die Unklarheit über die Entschädigungsquellen. Denn neben dem „Opferentschädigungsgesetz“ gibt es auch „Härteleistungen“ und die „Verkehrsopferhilfe“. Erst nach ein paar Wochen stand fest, dass man sämtliche Bestimmungen im Interesse umfassender Hilfen nutzen würde.

Diese Hilfen sind nach Becks Einschätzung aber trotzdem noch viel zu gering. Ehepartner der Getöteten zum Beispiel erhalten 10 000 Euro als Härteleistung. In anderen Ländern ist es ein Vielfaches. Als eine der zentralen Schlussfolgerungen plädierte Beck deshalb für eine „deutliche Anhebung“ der Zahlungen. Der geschäftsführende Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte eine „positive Prüfung“ namens der Regierung zu. Zugleich kündigte er eine Überarbeitung des Opfer­entschädigungsgesetzes an. Denn Attentate mit Fahrzeugen sind darin eigentlich gar nicht erfasst. Ein Tatmittel dürfe jedoch nicht über Hilfsansprüche entscheiden, so Maas. Sein Parteikollege Beck regte für Terroropfer zentrale Anlaufstellen bei Bund und Ländern an – und eine Gedenk-Kultur, die dem Schmerz der Hinterbliebenen Rechnung trägt. Zwar habe es viele Formen der Anteilnahme gegeben, so Beck. Aber die Betroffenen hätten eine „staatliche Anerkennung“ vermisst. Eine Feststellung, die in erster Linie auf Angela Merkel zielte.

Mitglieder aus allen zwölf Familien der Todesopfer hatten der Kanzlerin kürzlich in einem offenen Brief politisches Versagen vorgeworfen. Merkel habe es „versäumt“, die Bekämpfung der Gefahren voranzutreiben, hieß darin. Obendrein beklagten die Verfasser, „dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, uns auch fast ein Jahr nach dem Anschlag weder persönlich noch schriftlich kondoliert haben“. In Frankreich oder Israel sei die staatliche Anteilnahme höher bewertet worden, so Beck. „Wir müssen uns das vornehmen.“

Am Montag ist im Kanzleramt jetzt ein Treffen Merkels mit Opfern des Anschlags geplant. Auch Beck nimmt daran teil. Doch ob diese späte Geste der Regierungschefin viel ändert, darf bezweifelt werden. Eine „Mischung aus Schmerz, Entsetzen und Wut“ hat Beck bei den Hinterbliebenen ausgemacht.

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