Das Schweigen des Elia

Rutshuru. Elia spricht nicht mehr. Seit seiner Ankunft im Krankenhaus von Rutshuru im Osten der Demokratischen Republik Kongo vor vier Tagen hat der Zweijährige keinen Laut über die Lippen gebracht, seine Pfleger sind ratlos. Der kleine Junge mit der Schusswunde am Arm ist allein, das Schicksal seiner Eltern ungewiss

Rutshuru. Elia spricht nicht mehr. Seit seiner Ankunft im Krankenhaus von Rutshuru im Osten der Demokratischen Republik Kongo vor vier Tagen hat der Zweijährige keinen Laut über die Lippen gebracht, seine Pfleger sind ratlos. Der kleine Junge mit der Schusswunde am Arm ist allein, das Schicksal seiner Eltern ungewiss. Zusammen mit mehreren dutzend weiteren Flüchtlingen kam er aus der nahe gelegenen Stadt Kiwanja in Nord-Kivu, wo sich die Rebellen von Laurent Nkunda und regierungstreue Mayi-Mayi-Milizen heftige Gefechte lieferten. Auch rund 50 Zivilisten kamen dabei nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ums Leben. "Es ist schwierig die Geschichte von Elia nachzuvollziehen, da er seit vier Tagen den Mund nicht geöffnet hat", sagt Michelle Van Den Bergh, die für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Rutshuru arbeitet. Der Zweijährige ist in dem notdürftig eingerichteten Krankenhaus im Zimmer für Notfälle untergebracht. Dort liegt er auf einer blauen Plastikmatratze und fixiert die Decke mit leerem Blick. Auf das Treiben der Erwachsenen um ihn herum reagiert er mit Gleichgültigkeit. Nur wenn er sich von den "Großen" unbeobachtet wähnt, nimmt Elia ab und zu Kontakt zu anderen Kindern im Krankenhaus auf. Ein Teil seines linken Arms ist in eine weiße Bandage eingewickelt. Dort hat ihn eine Kugel getroffen. "Das Schicksal seiner Eltern ist unbekannt", sagt Van Den Bergh. Große Hoffnung, dass sie noch leben, hat sie aber nicht. Mitarbeiter des Krankenhauses erzählen, Elia sei von einem Anwohner in Kiwanja gefunden worden. Dieser habe sein Weinen aus einem Haus im Zentrum der Stadt gehört und nachgeschaut. Im Innern entdeckte er den verängstigten Elia als einzigen Überlebenden inmitten von Leichen. Von dort gelangte der Zweijährige zunächst in die Gesundheitsstation in Kiwanja und dann nach Rutshuru in die Obhut der Ärzte ohne Grenzen. Doch das Krankenhaus in dem kleinen Handelszentrum Rutshuru an einer der Hauptstraßen Nord-Kivus ist kaum mehr als eine Ansammlung übervölkerter Einzelzimmer um einen unüberdachten Hof. Auch unter freiem Himmel warten zahlreiche Patienten auf dem blanken Boden oder einfachen Decken auf ärztlichen Rat. Mütter mit Säuglingen auf dem Rücken kochen Essen über offenem Feuer, während größere Sprösslinge schreiend umher rennen. Denn Elia ist längst nicht das einzige Kind, das zwischen die Fronten des Konflikts geriet und verletzt wurde. Wie durch ein Wunder gelangte auch die zehnjährige Silve körperlich weitgehend unversehrt nach Rutshuru. Ganz im Gegensatz zu Elia nimmt sie aber regen Anteil an ihrer Umwelt und nutzt jede sich bietende Gelegenheit für ein Gespräch. Fünf Minuten lang redet sie ohne Unterlass über die Kämpfe, in die sie geriet - holt kaum Luft zum atmen: "Da waren drei Bomben. Die erste schlug im Wohnzimmer ein, die zweite im Nebenzimmer und die dritte im Garten", erzählt Silve, die nur eine Schramme auf dem Po davongetragen hat. "Als die Schüsse aufhörten, bin ich dann jemanden suchen gegangen, der mich verarztet", sagt die zehnjährige Zimmergenossin Elias. Der Kleine schweigt weiter.

HintergrundSeit Wochen kämpfen Truppen der kongolesischen Regierung in Kinshasa und die Rebellen des desertierten Tutsi-Generals Nkunda um die Kontrolle der östlichen Provinz Nord-Kivu. Im Grenzgebiet zu Ruanda sind 250000 Menschen auf der Flucht, Hilfsorganisationen melden immer wieder Massaker und Gräueltaten an Zivilisten. Die UN-Mission in Kongo beklagt Misshandlungen, Plünderungen und Vergewaltigungen. afp

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