Das Prinzip Attacke

Berlin. Kanzlerin Angela Merkel schlängelt sich zu Beginn der Sitzung durch die Regierungsbank, hier und da hält sie einen Plausch mit einem ihrer neuen Minister. Aber zu ihm schaut sie demonstrativ nicht. Frank-Walter Steinmeier, ihr Ex-Vizekanzler, kommt extra von der anderen Seite des Parlaments in den Plenarsaal. Auch er guckt stur nach vorn

Berlin. Kanzlerin Angela Merkel schlängelt sich zu Beginn der Sitzung durch die Regierungsbank, hier und da hält sie einen Plausch mit einem ihrer neuen Minister. Aber zu ihm schaut sie demonstrativ nicht. Frank-Walter Steinmeier, ihr Ex-Vizekanzler, kommt extra von der anderen Seite des Parlaments in den Plenarsaal. Auch er guckt stur nach vorn. Schnurstracks nimmt er seinen neuen Platz als Fraktionschef in der ersten SPD-Reihe ein. Jetzt geht es gegeneinander, Vergangenes zählt nicht mehr. Bei der ersten großen Debatte des Bundestages anlässlich der Regierungserklärung von Angela Merkel sind die Rollen neu verteilt - einige finden sich damit besser zurecht als andere.

Angela Merkel hat Frank-Walter Steinmeier zappeln lassen. Ihre Rede hat sie dem Oppositionsführer erst morgens übermittelt, obwohl eigentlich am Abend vorher parlamentarischer Brauch ist. Das Steinmeier-Lager nimmt es gelassen: "Voll auf die schwarz-gelbe Zwölf", sagt einer seiner Berater, habe ohnehin als Losung gegolten. Denn der neue SPD-Fraktionschef und gescheiterte Kanzlerkandidat muss bei seinem Debüt als Oppositionsführer zeigen, dass er das Prinzip Attacke beherrscht. Das wird von ihm erwartet. Im Parlament sitzt auch der designierte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Viele Genossen halten ihn für den besseren Angreifer, weil rhetorisch gewandter. Nach Steinmeiers Auftritt grinst Gabriel zufrieden. Es wirkt ehrlich. Und auch die Mitglieder der SPD-Fraktion sind sichtlich angetan.

Steinmeier hat seine neue Rolle schneller angenommen als im Sommer die des Wahlkämpfers. Im Bundestag geht es eben gleich zur Sache. "Sie haben gesagt, in diesem Land steckt viel. Das Problem ist, in dieser Regierung steckt der Wurm", greift er an. Es ist eine echte Abrechnung, die Steinmeier in den ersten 30 Minuten seiner Rede bietet: Die geplante Gesundheitsreform lege die Axt ans Solidarprinzip und mit der Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke werde ein alter Gesellschaftskonflikt wieder entzündet.

Die Aussprache über die erste Regierungserklärung eines Kanzlers ist zwar traditionell die Stunde der Opposition: "Sie haben dem Wort Fehlstart eine völlig neue Interpretation gegeben", ätzt der grüne Fraktionschef Jürgen Trittin. Und bei der Neuregelung der Erbschaftssteuer, die als Wachstumsimpuls verkauft werde, gelte wohl: "Schneller sterben für mehr Wachstum", so Trittin. Nach vier Jahren großer Koalition ist endlich wieder mehr Feuer unter dem parlamentarischen Dach. Mehrfach klatschen sich die Oppositionsparteien wechselseitig zu. Die neue FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger müht sich indes für das schwarz-gelbe Lager, kann der verbalen Kraft der anderen aber kaum etwas entgegen setzen. Ein wortgewaltiges Gegengewicht ist bei Union und FDP aber nicht in Sicht. Westerwelle oder Wolfgang Schäuble müssen sich als Regierungsmitglieder zurückhalten.

Dabei ist es nicht so, dass Angela Merkel es denen auf der linken Seite des Hohen Hauses leicht gemacht hat. Ihr Selbstbewusstsein ist nach dem Wahlsieg noch einmal gewachsen: Mal wird sie präsidial, mal praktisch, mal ehrlich, oft allerdings auch floskelhaft. "Deutschland steht vor einer Bewährungsprobe wie seit der deutschen Einheit nicht mehr", ruft sie. Mehrfach sagt sie: "Das ist die Lage" - und die ist nicht rosig. Die Arbeitslosigkeit werde weiter steigen, "die volle Wucht der Krise wird uns im nächsten Jahr erreichen". Die Bundesregierung setze auf Wachstum durch Steuersenkungen, um Deutschland zu neuer Stärke zu führen. Ihre Botschaft bleibt klar: Auf der Brücke steht eine Frau, die einen Kurs hat. Obwohl sie nicht genau weiß, ob es der richtige ist: "Auch dieser Weg ist keine Garantie, dass wir es schaffen", räumt sie ein. Die See drumherum ist aufgewühlt. "Sie haben gesagt,

Frau Bundeskanzlerin, in diesem Land steckt viel. Ja! Das Problem ist: In dieser Regierung steckt der Wurm. Und deshalb haben Sie die schönsten Tage Ihrer Regierungszeit schon hinter sich."

Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef

"Diese Regierung ist unfähig, die Kernaufgaben unserer Zeit überhaupt anzugehen."

Oskar Lafontaine,

Parteichef Die Linke

"Dafür, dass Sie hier nur als Revival-Band angetreten sind, war dieser Anfang doch reichlich holprig."

Jürgen Trittin,

Fraktionschef Die Grünen

Hintergrund

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in ihrer Regierungserklärung alle Bürger, gesellschaftliche Gruppen und die Opposition zur Zusammenarbeit aufgerufen, um Deutschland aus der Wirtschaftskrise zu führen. "Jeder ist Teil des Ganzen, jeder kann Deutschland besser machen", sagte Merkel. Dies schließe auch die Opposition ein.