Das Lösegeld-Dilemma

Berlin · Mit der Entführung von westlichen Ausländern verdienen Terrorgruppen viel Geld. Auch Deutsche gehören zu den beliebten Opfern. Fast immer stellt sich dann auch die Frage – Lösegeld zahlen oder nicht?

Einer der beiden verschleppten Deutschen stand auf den Philippinen schon in seinem Grab. Das zumindest behaupteten seine Entführer . Die islamistische Terrorgruppe Abu Sayyaf veröffentlichte Bilder, die den aus dem Rheingau stammenden 72 Jahre alten Arzt in einem drei Meter tiefen Erdloch zeigen. Tagelang ließen sie ihn nach ihren Angaben darin sitzen, ohne Schuhe und in dreckigen Klamotten, mitten im Dschungel auf der Insel Jolo.

Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht wahr geworden. Am Freitag, wenige Stunden nach Ablauf des Ultimatums der Entführer , kommt die erlösenden Botschaft: "Wir haben die beiden Deutschen freigelassen", sagt ein Sprecher im Interview des örtlichen Senders DXRZ. Wenig später bestätigt die Polizei die Übergabe der Geiseln .

Zu den Lösegeld-Forderungen von Abu Sayyaf - vier Millionen Euro - hieß es in der Bundesregierung immer nur lapidar: "Kein Kommentar." Bei Entführungen gilt das alte Motto besonders: Über Geld spricht man nicht. Das Argument dahinter: Wer Lösegeldzahlungen zugibt, macht sich zum Ziel neuer Erpressungen. Einer, der mit solchen Fällen früher betraut war, meint: "Eine Regierung darf zahlen - solange sie bereit ist, stets darüber zu schweigen."

Allerdings gibt es eine Entwicklung, die Berlin mehr und mehr Sorgen bereitet. Geiselnahmen sind für Terrorgruppen zum lukrativen Geschäftsmodell geworden. Das Auswärtige Amt spricht von einer "weltweit operierenden Entführungsindustrie". Mit der Verschleppung von Ausländern aus westlichen Industrienationen wird längst nicht mehr nur der Zweck verfolgt, auf sich aufmerksam zu machen. Damit lässt sich auch gutes Geld verdienen - was dann wiederum für den Kauf von neuen Waffen verwendet wird. Nach Schätzungen der "New York Times" sollen europäische Regierungen seit 2008 allein an die Terrorgruppe Al Qaida mindestens 125 Millionen Dollar Lösegeld gezahlt haben. Die USA hingegen kaufen Landsleute nach offiziellem Bekunden grundsätzlich nicht frei, ebenso wie Großbritannien. Allerdings gibt es Zweifel, ob das immer so stimmt.

In Deutschland ist das schwieriges Terrain. Die offizielle Sprachregelung für solche Fälle lautet: "Die Bundesregierung ist nicht erpressbar." Was nicht bedeutet, dass nie gezahlt wurde und nicht wird. Als Beispiel dafür wird der Fall der deutschen Familie Wallert genannt, die im Jahr 2000 entführt worden war - übrigens ebenfalls von Abu Sayyaf. Die Wallerts kamen nach und nach frei, nachdem Millionen Dollar gezahlt wurden. Das Geld floss damals über Umwege, über die Stiftung eines Sohnes des inzwischen gestürzten und getöteten libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi . Inzwischen sind auch solche Zahlungen durch eine Resolution der Vereinten Nationen eigentlich verboten. Zugleich ist die Bundesre gierung verpflichtet, Leib und Leben von Entführten zu retten. Bei aller Erfahrung ist das in jedem Fall aufs Neue ein Dilemma.

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