Das Kreuz mit dem Kreuz im Klassenzimmer

Bonn/Saarbrücken. Es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz: Mit ihrer Forderung, Kreuze und andere religiöse Symbole aus staatlichen Schulen zu entfernen, hat die designierte niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) gleich in mehrere Fettnäpfchen getreten. Die türkisch-stämmige Muslimin heizte nicht nur die Debatte um das Werteprofil der CDU erneut an

Bonn/Saarbrücken. Es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz: Mit ihrer Forderung, Kreuze und andere religiöse Symbole aus staatlichen Schulen zu entfernen, hat die designierte niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) gleich in mehrere Fettnäpfchen getreten. Die türkisch-stämmige Muslimin heizte nicht nur die Debatte um das Werteprofil der CDU erneut an. Sie setzte auch den Streit um die Neutralitätspflicht des Staates und freie Religionsausübung in der Öffentlichkeit wieder einmal auf die Tagesordnung. Kreuze in Klassenzimmern und Gerichtssälen, der Streit um Kopftücher und Minarette: Die Frage nach der Rolle der Religion in der pluralen Gesellschaft beschäftigt Gerichte und Politik in immer kürzeren Abständen.

Fest steht, dass Özkan sich schon vor ihrem Amtsantritt massiven Ärger bei ihrem Chef eingehandelt hat. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) beeilte sich schon am Sonntag, seinen hoch gehandelten neuen Star zurückzupfeifen. "In Niedersachsen werden christliche Symbole, insbesondere Kreuze in den Schulen, seitens der Landesregierung im Sinne einer toleranten Erziehung auf Grundlage christlicher Werte begrüßt", sagte er. Özkan habe lediglich ihre persönliche Meinung gesagt. Inzwischen hat sich die künftige Ministerin bereits wieder von ihrer Forderung distanziert.

Nicht zimperlich

Andere Unionspolitiker waren zuvor auch nicht zimperlich in ihrer Kritik: Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) nannte die Forderung "schlicht abwegig"; zu befürchten sei ein "neuer Kulturkampf in deutschen Klassenzimmern". Und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt befürchtet eine weitere Verunsicherung der Stammwähler. Die SPD konnte sich leichter Schadenfreude nicht enthalten, zumal ihr mit Blick auf Özkan immer wieder vorgehalten worden war, dass die Union bei der Integration von Migranten weit fortschrittlicher sei.

Im katholischen Saarland stieß Özkans Vorstoß allgemein auf große Vorbehalte. Selbst die üblicherweise besonders säkularen Parteien FDP und Linke reagierten ablehnend. "Im Saarland ist das Kreuz nicht nur ein religiöses Symbol, sondern hat auch kulturelle Bedeutung", betonte der religionspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Karl-Josef Jochem. Der christliche Glaube präge die abendländische Gesellschaft seit ihrem Bestehen. Die Linken-Abgeordnete Heike Kugler teilte mit, im Saarland bekenne sich die Mehrheit der Bevölkerung zum christlichen Glauben: "Dem muss das Land Rechnung tragen." Eine moderne Gesellschaft müsse jedoch auch Toleranz gegenüber anderen Religionen zeigen. Auch die SPD hierzulande zeigte sich grundsätzlich offen für Kreuze im Klassenzimmer. "Wenn es vor Ort von allen akzeptiert wird, spricht im Grundsatz nichts gegen ein Kreuz im Schulraum", sagte Fraktionsvize Cornelia Hoffmann-Bethscheider.

Die künftige niedersächsische Ministerin könnte sich allerdings auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 berufen. Damals setzten anthroposophisch gesinnte Eltern die Streichung von Teilen der Bayerischen Volksschulordnung durch, die für jedes Klassenzimmer ein Kreuz vorschrieb. Die Karlsruher Richter verwiesen auf die Neutralitätspflicht des Staates. Ihrer Niederlage begegnete die Bayerische Regierung damals mit der so genannten Widerspruchslösung: Die Kruzifixe dürfen demnach in den Klassen verbleiben, solange sich kein gerechtfertigter Protest dagegen erhebt.

Weit bedeutsamer als regionale Entscheidungen wird aber ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu Kreuzen in italienischen Klassenzimmern sein, das am 30. Juni veröffentlicht wird. Die kleine Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs hatte im November einer Klägerin Recht gegeben, die sich gegen Kreuze an öffentlichen Schulen in Italien gewandt hatte. Jetzt muss die große Kammer den Kreuzkampf entscheiden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort