"Das Klima in der Koalition wird weiter vergiftet"

Herr Falter, hat es Sie überrascht, dass Christian Wulff erst im dritten Wahlgang gewählt wurde?Falter: Das hat mich schon ernsthaft überrascht. Ich war davon ausgegangen, dass es im zweiten Wahlgang für ihn klappen würde. Zum einen ist das der großen Anziehungskraft des Gegenkandidaten Gauck geschuldet

Herr Falter, hat es Sie überrascht, dass Christian Wulff erst im dritten Wahlgang gewählt wurde?

Falter: Das hat mich schon ernsthaft überrascht. Ich war davon ausgegangen, dass es im zweiten Wahlgang für ihn klappen würde. Zum einen ist das der großen Anziehungskraft des Gegenkandidaten Gauck geschuldet. Andererseits zeugt der Wahlkrimi von der geringen Bindungskraft, die die Appelle der Koalitionsparteien gegenüber ihren Mitgliedern in der Bundesversammlung bewirkt haben.

Was bedeutet das Ergebnis für die Legitimation des neuen Staatsoberhaupts, erst im dritten Wahlgang gewählt worden zu sein, in dem eigentlich schon die einfache Mehrheit genügt?

Falter: Immerhin kann sich Christian Wulff hier auf sehr ehrenwerte Vorbilder berufen, denen es genauso erging: Gustav Heinemann und Roman Herzog. Beide waren großartige Bundespräsidenten, bei denen außer ein paar Historikern niemand mehr ernsthaft gefragt hat, mit welcher Mehrheit in der Bundesversammlung sie einst gewählt worden sind. Beide haben es hinbekommen, allgemein akzeptiert zu werden. Das könnte Christian Wulff genauso schaffen.

Trotzdem, wie groß ist der Schaden für die Koalition, die für ihren Kandidaten rechnerisch immer eine satte Mehrheit gehabt hatte?

Falter: Ich glaube, das wird sehr viel Misstrauen säen. Misstrauen zwischen den Koalitionspartnern, weil es vor allem FDP-Politiker waren, die geäußert hatten, nicht für Wulff stimmen zu wollen. Das wird auch in die öffentliche Debatte getragen werden. Und dann beginnt die Koalitionskeiferei wieder von neuem, die wir ja nun schon satt genug haben. Es ist fast unvermeidlich, dass die CSU dann auf die FDP eindrischt und die Liberalen zurückkeilen. Auf diese Weise wird das Klima in der Koalition weiter vergiftet.

Ist Angela Merkel nun nachhaltig geschwächt?

Falter: Sie ist zweifellos beschädigt. Und zwar deshalb, weil ihre Autorität weiter leidet und weil die Konflikte in der Koalition weiter gehen, ja sogar verstärkt werden. Es ist damit zu rechnen, dass aus den zweiten und dritten Unionsreihen der Ruf laut wird, dass Merkel wenigstens den CDU-Vorsitz aufgeben solle und dass man sich über mögliche Nachfolger Gedanken machen müsse. Zu diesen Debatten wird es wohl kommen.

Gauck wurde von einer Sympathiewelle in der Bevölkerung getragen. Droht uns jetzt noch mehr Parteienverdrossenheit, weil diese Erwartungen enttäuscht wurden?

Falter: Davon muss man leider ausgehen. Aber das liegt auch daran, dass große Teile der Bevölkerung die Mechanismen der repräsentativen Demokratie nicht so richtig zu akzeptieren bereit sind. Die Begeisterungswelle für Gauck ist ja aus einer tiefen Parteienverdrossenheit heraus entstanden. Nun haben wir so etwas wie einen sich selbst verstärkenden Effekt. Die Bevölkerung erwartet eigentlich, dass ihre Repräsentanten nach den Stimmungen im Volk entscheiden. Aber die Repräsentanten sollen nach ihrem besten Wissen und Gewissen entscheiden. Und das kann anders ausgehen.

Was halten Sie vom Verhalten der Linken, die mit der Ablehnung Gaucks zum Sieg Wulffs beigetragen haben?

Falter: Das halte ich für verständlich. Gauck ist ein sehr überzeugter Antikommunist und Gegner der DDR gewesen, war SED- und PDS-kritisch. Das alles passt nicht zum Weltbild der Linken. Insofern haben die Linken nur konsequent gehandelt, wenn auch nicht klug.

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