Das Jahr der bizarren Kandidaten

Washington. Der Mann mit dem verwegenen Dreitage-Bart meint es ernst. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Anchorage im US-Staat Alaska präsentiert der forsche Republikaner seinen Anhängern eine Lösung für das Problem der illegalen Einwanderung: den Stacheldrahtzaun

Joe Miller erwägt eine Grenzanlage à la DDR zur Lösung illegaler Einwanderung. Foto: dpa

Washington. Der Mann mit dem verwegenen Dreitage-Bart meint es ernst. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Anchorage im US-Staat Alaska präsentiert der forsche Republikaner seinen Anhängern eine Lösung für das Problem der illegalen Einwanderung: den Stacheldrahtzaun. Er, Joe Miller, habe sich als Kadett der West-Point-Militärakademie seinerzeit vor Ort bei Fulda persönlich von der Effizienz der DDR-Grenzsicherung überzeugt. "Ostdeutschland war überaus fähig, den Strom zu unterbinden." Nur welchen Strom? Den von Westbürgern in das kommunistische Land? Niemand im Publikum stellt die naheliegende Frage. Miller gehört zur Tea-Party-Bewegung, einer konservativen Protest-Organisation, die ihre Anhänger gegen die Finanz-Rettungspakete und andere Maßnahmen der Regierung in Washington mobilisiert.

"Was Ostdeutschland konnte, können wir auch", meint Miller, der bei den Vorwahlen die moderate Senatorin Lisa Murkowski stürzte und nun gute Aussichten hat, für sechs Jahre in die ehrwürdige Kammer gewählt zu werden. Miller ist nicht der einzige Bewerber bei den Rechten, der mit radikalen, geradezu bizarren Äußerungen auf sich aufmerksam macht. "Das hat mit Politik nichts mehr zu tun. Das ist daneben", klagt Pulitzer-Preisträger Eugene Robinson in seiner Kolumne in der "Washington Post" über das "Jahr der verrückten Kandidaten". Beim Senat sind es neun, beim Repräsentantenhaus mehr als 35 Bewerber mit Tea-Party-Hintergrund, die bei den Kongresswahlen am 2. November nach Washington geschickt werden könnten.

Hinzu kommen Kandidaten für die Gouverneurs-Posten in den Bundesstaaten, wie der illustre Bau-Magnat Carl Paladino in New York. Dieser versprach beispielweise, die Hauptstadt des Bundesstaates New York, Albany, "mit meinem Baseball-Schläger zu säubern", und drohte einem Reporter, ihn "aus dem Verkehr zu ziehen". Die Abneigung gegen die "liberalen Medien" ist den Rechtsaußen-Bewerbern gemein. Wer herauszufinden versucht, wo die Kandidaten auftreten, wird abgewimmelt. Auf Anraten der ehemaligen republikanischen Kandidatin für das Vizepräsidenten-Amt, Sarah Palin, sprechen die Tea-Party-Bewerber fast ausschließlich mit dem Sender "Fox". Dieser gehört zum publizistischen Reich Rupert Murdochs, der die US-Konservativen nicht nur mit Hurra-Berichterstattung, sondern auch mit 1,25 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden unterstützt. Jüngst zeigte "Fox" den Auftritt des Senats-Kandidaten Ken Buck, der in Colorado in Führung liegt. Dabei erklärte der Tea-Party-Mann dem staunenden Publikum, dass Homosexualität wie Alkoholismus sei. "Sie haben eine Wahl." Bewerberin Sharron Angle in Nevada läuft indes vor Reportern regelrecht davon. Was die Fundamentalistin aus Reno nicht vor den Videokameras schützt, die sie auf Schritt und Tritt verfolgen. Etwa denen der Schüler einer Highschool bei Las Vegas. Dort verteidigte die Kandidatin vor Latino-stämmigen Kindern einen Fernseh-Spot, der mit Stereotypen Stimmung gegen Mexikaner macht, mit folgenden Worten: "Einige von euch sehen mir sehr asiatisch aus."

In anderen Fällen müssen die Berater komplett versagt haben. Christine O'Donnell geht als erste Kandidatin in die Geschichtsbücher ein, die sich mit den Worten "Ich bin keine Hexe" in einem 30-Sekunden-Spot an die Wähler wendet. Der Versuch, ihre Ausflüge in okkulte Praktiken aus der Welt zu reden. Daneben führte sie eine PR-Kampagne gegen Masturbation.

Überzeugungstäter sind diese Kandidaten alle. Insbesondere Rand Paul, der für Kentucky in den Senat einziehen dürfte. Er verspricht, auf die Privatisierung der staatlichen Alterssicherung hinzuarbeiten, die Krankenversicherung abzuschaffen, und er stört sich nebenbei auch daran, dass Geschäfte nicht selber entscheiden dürfen, wen sie bedienen. "Es sieht so aus, als ob sich der Zorn der Wähler in den Gesichtern der amerikanischen Politiker niederschlägt", erklärt die Online-Zeitung "Politico". "Die Politik der Entrüstung ist in voller Blüte."

Neuste Umfragen sagen den oppositionellen Republikanern einen klaren Sieg voraus. Nach einer Umfrage von "Politico" in Regionen, in denen knappe Rennen erwartet werden, gaben 47 Prozent der Befragten an, einen Republikaner ins Abgeordnetenhaus schicken zu wollen. Lediglich 42 Prozent haben die Absicht, ihr Kreuz bei den Demokraten zu machen.