„Das ist eine Blamage für Deutschland“

Der Deutschland-Korrespondent des schwedischen Rundfunks, Daniel Alling, will nicht so ganz rausrücken mit der Sprache. „Mit Ruhm bekleckert“ habe sich das Münchner Oberlandesgericht mit seinen Vorbereitungen auf den NSU-Prozess natürlich nicht, sagt er zögernd.

Er überlegt kurz und findet dann doch deutliche Worte: "Eure Justiz in allen Ehren. Das ist eine Blamage für Deutschland." Das Gericht habe die Tragweite des Prozesses schlicht unterschätzt.

Alles war vorbereitet: Sicherheitsschleusen, Plätze für TV-Übertragungswagen, der für einen Millionenbetrag umgerüstete Verhandlungssaal. Doch zwei Tage vor dem geplanten Beginn zieht das OLG die Notbremse: Der Prozess gegen Beate Zschäpe und die mutmaßlichen Helfer der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) wird verschoben. Die Plätze für Journalisten müssen neu vergeben werden.

Im Bemühen, alles formaljuristisch richtig zu machen, hatten die Richter die Presseplätze strikt nach der Reihenfolge der Anmeldung vergeben - und dabei in Kauf genommen, dass Vertreter türkischer Medien außen vor blieben. Jede Kritik an der Vergabe ließ das Gericht abperlen, obwohl acht der zehn Opfer des NSU aus der Türkei stammten.

Die türkische Zeitung "Sabah" legte Verfassungsbeschwerde ein - und erst das Machtwort aus Karlsruhe brachte den Staatsschutzsenat zum Einlenken: Am Freitag wies das Bundesverfassungsgericht den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an, türkischen und griechischen Medien eine angemessene Zahl an Plätzen zu reservieren. Das kam einer Ohrfeige der höchsten Richter für Götzl gleich.

Wie das OLG konkret vorgehen sollte, ließen die Verfassungsrichter offen - es wäre wohl auch möglich gewesen, ein Zusatzkontingent für ausländische Medien zu schaffen. Doch der OLG-Senat wählte den radikalen Weg: Runterfahren, Neustart - Prozessbeginn nun am 6. Mai, knapp drei Wochen später als geplant.

Auch das mag juristischer Vorsicht geschuldet sein: Schließlich musste das Gericht einräumen, dass wegen eines technischen Fehlers nicht alle Medien gleichzeitig vom Beginn der Akkreditierungsfrist erfahren hatten. Das wäre durch die Vergabe von Zusatzplätzen nicht geheilt worden. Zschäpes Anwälte hatten sich schon munitioniert: "Hätte das Gericht anders entschieden, hätten wir in der Hauptverhandlung beantragt, das Verfahren auszusetzen und ein neues Akkreditierungsverfahren durchzuführen", sagte Verteidiger Wolfgang Stahl.

Als gestern die Verschiebung bekannt wurde, setzte OLG-Pressesprecherin Margarete Nötzel kurzfristig eine Pressekonferenz an. "Ich weiß es nicht", musste sie auf unzählige Nachfragen antworten - auf Fragen, wie es denn nun weitergeht, wann das neue Akkreditierungsverfahren beginnt, nach welchen Kriterien die Plätze dann vergeben werden - und ob dann türkische Medien auch garantiert einen Platz bekommen. Sie merkte lediglich an: "Alle Journalisten sollen die gleichen Chancen bekommen." Es wurde auch gefragt, ob sie einen Imageschaden für das Gericht sehe. Nötzels Antwort: "Dazu sage ich nichts."

Bei alledem wird deutlich: Richter Götzl scheint seine Entscheidungen nur mit sich selbst und seinem Senat auszumachen - auch wenn es um die Belange der Presse geht. "Es bedarf keiner großen hellseherischen Fähigkeiten, um sagen zu können: Das wird der Vorsitzende entscheiden und nur der Vorsitzende", sagte Nötzel auf die Frage, wie das neue Akkreditierungsverfahren nun abläuft.

Ein Journalist merkte an, dass die Pressesprecherinnen nun für das geradestehen müssten, was Götzl entscheide. Darauf antwortete Nötzel: Der Vorsitzende treffe die Entscheidungen, und sie müsse diese dann an die Medien weitergeben. "Das ist die Arbeitsteilung."

Vor dem Gericht ist bereits ein Zelt aufgebaut, um wartende Besucher vor den Sicherheitsschleusen gegen Wind und Wetter zu schützen. Ob es bis zum 6. Mai stehen bleibt? Erneut O-Ton Nötzel: "Ich weiß es nicht."

Auf die von überall her angereisten Journalisten wartet noch ein weiteres Ärgernis. Viele hatten frühzeitig Hotelzimmer für diese Woche gebucht. Wegen einer Messe in München seien die Preise entsprechend hoch, sagt der Schwede Alling. 200 Euro zahle er pro Nacht, das Hotel bestehe auf dem vollen Preis für eine Woche - auch wenn er wegen der Verschiebung jetzt wieder zurück nach Berlin reisen wird.

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