„Das ist ein Versagen des Hilfssystems“

Nicht die Gesetze für Sterbehilfe, sondern das Hilfssystem für unheilbar kranke Kinder muss ausgebaut werden, sagt Paul Herrlein, Geschäftsführer des Saarbrücker St. Jakobus Hospiz und zuständig für den Kinderhospizdienst Saar, im Gespräch mit SZ-Redakteurin Iris Neu.

Das belgische Parlament hat den Weg freigemacht zur Sterbehilfe für unheilbar kranke Kinder und Jugendliche. Ist das ein Akt der Menschlichkeit?

Herrlein: Das bezweifle ich stark. Ich halte es für einen Akt der Menschlichkeit, wenn für die unheilbar kranken Kinder und Jugendlichen wirklich alles getan wird, um ihr unerträgliches Leiden zu lindern. Medizinisch gibt es da heute so viele Möglichkeiten. Daher halte ich eine solche gesetzliche Regelung für ein Armutszeugnis, für ein Versagen des Hilfssystems.

Aber wenn Medikamente nicht mehr wirken?

Herrlein: Es gibt immer Möglichkeiten, etwa dass man einen Menschen zeitlich befristet in einen tiefen Schlafzustand versetzt, damit er von den Schmerzen ein Stück weit befreit wird. Warum wird nicht erst das Hilfssystem so ausgebaut, dass jeder Zugang zu einer Palliativ-Versorgung und zur Hospizarbeit hat, bevor man gesetzliche Regelungen wie eine aktive Sterbehilfe angeht? Da gäbe es viel zu tun.

Darf man Kindern die Entscheidung über ihren eigenen Tod überlassen?

Herrlein: Es gibt durchaus Kinder, die sehr klar und selbstbestimmt wissen, was sie wollen. Aber ein Mensch, der unerträgliche Schmerzen leidet, hat keinen freien Willen. Das gilt für Kinder wie für Erwachsene. Zum anderen gibt auch eine Fürsorgepflicht des Staates für Kinder. Und diese sehe ich durch eine solche Gesetzgebung ausgehöhlt.

Inwiefern?

Herrlein: Die Sterbehilfe-Regelungen werden - zumindest in einigen Ländern - immer stärker ausgeweitet: Zuerst ging es um die Erwachsenen, jetzt um die Kinder, und bald geht es vielleicht um die Demenzkranken. Auf welch schmalem Grad bewegt man sich da? Irgendwann, so meine Befürchtung, lässt man Menschen im Sinne der Selbstbestimmung einfach sterben. Und schaut gar nicht mehr nach dem Warum, nach dem, was dahintersteckt.

Was würden Sie als Elternteil eines unheilbar kranken Kindes tun, wenn es Sie anfleht, es von seiner Qual zu befreien?

Herrlein: Ich bin der Meinung, dass diese Kinder und ihre Familien alle Hilfe bekommen müssen, die sie brauchen, damit eine solche Entscheidung erst gar nicht im Raum steht und die Lebensqualität gestärkt wird. In Belgien müssen dem Gesetz zufolge zwar ein Arzt und ein Psychologe hinzugezogen werden, aber von einem Palliativ-Arzt, einem Schmerz-Mediziner also, ist nicht die Rede. Das ist für mich unver ständlich.

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