"Das ist beinahe eine Verhöhnung der Missbrauchsopfer"
Herr Professor Hasenhüttl, wie bewerten Sie den Hirtenbrief? Hasenhüttl: Zuerst ist zu sagen, dass alles, was der Papst und die Bischöfe tun und sagen, nur unter dem Druck der Öffentlichkeit geschieht. Der Hirtenbrief ist enttäuschend, weil er auf die entscheidenden Probleme überhaupt nicht eingeht
Herr Professor Hasenhüttl, wie bewerten Sie den Hirtenbrief? Hasenhüttl: Zuerst ist zu sagen, dass alles, was der Papst und die Bischöfe tun und sagen, nur unter dem Druck der Öffentlichkeit geschieht. Der Hirtenbrief ist enttäuschend, weil er auf die entscheidenden Probleme überhaupt nicht eingeht. Der grundlegende Tenor ist: Die Kirche hat Schaden erlitten, der Respekt vor den kirchlichen Autoritäten ist geschwunden. Dieser Tenor besagt, dass nicht die Würde des Menschen, sondern die der Institution unantastbar ist. Das ist die Umkehrung dessen, was Jesus gelehrt hat.
Was hätte Ihrer Meinung nach in dem Brief drinstehen sollen?
Hasenhüttl: Ich hätte mir vorgestellt, dass man gesagt hätte: "Wir bereuen zutiefst, dass wir die Machtinteressen der Institution Kirche über das Leid der Opfer gestellt haben, und wir werden in Zukunft die Umkehr vollziehen." Das wäre ein Zeichen der Veränderung im kirchlichen Selbstverständnis. Aber genau das Gegenteil ist beim Hirtenbrief der Fall.
Hätte der Papst auf die Missbrauchsfälle in Deutschland eingehen sollen?
Hasenhüttl: Das hätte er tun können, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Es geht darum, dass er im Hirtenbrief die Taten relativiert, indem er sagt, die Missbrauchsfälle sind kein rein kirchliches Problem
hat er damit unrecht?
Hasenhüttl: Natürlich hat er nicht unrecht. Aber wenn die Kirche sich als Hüterin der Moral ausgibt, kann sie nicht so argumentieren. Wenn in Familien Missbrauch geschieht, ist das keine Rechtfertigung, dass es ihn auch in der Kirche gibt.
Ist der Zölibat Schuld?
Hasenhüttl: Schuld ist vor allem die Sexualfeindlichkeit der katholischen Kirche, die im Zölibatsgesetz gipfelt. Daher bietet dieses auch einen Zufluchtsraum für Menschen, die mit ihrer Sexualität nicht zurecht kommen.
Wie erklären Sie sich, dass die Missbrauchsfälle über Jahrzehnte hinweg im Dunklen geblieben sind?
Hasenhüttl: Das ist das Ergebnis einer systematischen Vertuschung. Als Joseph Ratzinger Präfekt der Glaubenskongregation war, hat er am 18. Mai 2001 ein Schreiben an alle Bischöfe erlassen, dass sie unter Kirchenstrafe keinen dieser Fälle veröffentlichen dürfen. Er hat sie zum "päpstlichen Geheimnis" erklärt. Deshalb ist er der Hauptverantwortliche für die Vertuschung.
Wie kann die katholische Kirche das Geschehene wiedergutmachen? Oder ist das gar nicht möglich?
Hasenhüttl: Eine Wiedergutmachung in dem Sinn gibt es nicht. Aber man sollte alles tun, um den Opfern zu helfen. Nicht nur mit Geld, sondern mit Rat und Tat von kompetenten Leuten - und nicht von Hierarchen, die nur das Heil der Institution Kirche im Auge haben.
Der Papst empfiehlt zur Wiedergutmachung "intensives Gebet".
Hasenhüttl: Ich habe nichts dagegen, dass man für die Opfer betet. Aber das zur Wiedergutmachung in den Vordergrund zu stellen, finde ich unglaublich und unfassbar. Das ist beinahe eine Verhöhnung der Opfer.
Zur Person
Gotthold Hasenhüttl zählt zu den bekanntesten und streitbarsten Theologen in Deutschland. Der gebürtige Österreicher (Foto: ddp) wurde 2004 vom Priesteramt suspendiert, nachdem er im Vorjahr bei einem Gottesdienst auch evangelische Christen zur Kommunion eingeladen hatte. 2006 wurde dem Saarbrücker Theologie-Professor die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen. kir