Das große Schweigen nach dem verheerenden Anruf

Selten war Stille lauter als gestern im Berliner Regierungsviertel. Fast niemand äußerte sich öffentlich zum Fall Wulff, vor allem nicht im Koalitionslager aus Union und FDP. Und doch ging es in allen Telefonaten und Gesprächen um nichts anderes

Selten war Stille lauter als gestern im Berliner Regierungsviertel. Fast niemand äußerte sich öffentlich zum Fall Wulff, vor allem nicht im Koalitionslager aus Union und FDP. Und doch ging es in allen Telefonaten und Gesprächen um nichts anderes. Es lag und liegt nach den Enthüllungen über die Einschüchterungsversuche des Bundespräsidenten gegenüber der "Bild"-Redaktion Rücktrittsgeruch in der Luft.Die meisten Abgeordneten sind im Urlaub. Etliche waren für Journalistenanfragen nicht erreichbar, oder sie taten nur so. Die hochrangigen Koalitionäre, die sich sprechen ließen, beharrten auf strikter Vertraulichkeit, so dass sich nur ein Gesamtbild der gegenwärtigen Gemütslage der Koalition wiedergeben lässt. Das aber ist verheerend: Um Christian Wulff wird es sehr einsam. Niemand unterstützt den Amtsinhaber noch aktiv. Es zeigt sich im Gegenteil ein Bild rapide schwindender Solidarität.

Alle Vorwürfe seien privater, nicht politischer Natur, daher könne der Präsident sie nur selbst ausräumen, heißt es zum Beispiel. Oder: Wulff sei zwar von der Koalitionsmehrheit gewählt worden, aber seitdem als Präsident "voll für sich verantwortlich". Außerdem würde es, meinte ein anderer, kaum glaubhaft wirken, wenn Parteipolitiker der eigenen Couleur ihn jetzt zu stützen versuchten. Das alles ist ein verklausuliertes "Wir können nichts mehr für dich tun". CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte das sogar offen: Nur Wulff selbst könne die Vorwürfe glaubhaft aufklären: "Ich bin überzeugt davon, dass er nach einigen Tagen der Überlegung auch zu diesem Schluss kommen wird." FDP-Vize Holger Zastrow forderte Wulff ebenfalls ganz direkt zur Aufklärung "noch in dieser Woche" auf und warf Wulff wegen des Telefonats mit "Bild" vor, "nicht die Größe zu haben, die ich von einem Bundespräsidenten erwarte".

Das Zweite: Niemand legt noch seine Hand dafür ins Feuer, dass Wulff die neuerliche Wendung der Affäre übersteht. Im Gegenteil. Die Prognosen darüber reichen von "Ich weiß es nicht" bis zu einem "Ich habe ein ganz mulmiges Gefühl". Man habe nach der Erklärung und Entschuldigung des Bundespräsidenten am 22. Dezember gedacht, dass nun Ruhe einkehre, heißt es. Dass das nicht der Fall sei und immer noch Neues komme, "macht uns alle so kirre". Andererseits wird auch darauf hingewiesen, dass die Enthüllung über das "Bild"-Telefonat ja eigentlich noch die Anfangszeit der Affäre betreffe und Wulff sich bei "Bild" entschuldigt habe. Vielleicht sei dies nun die letzte Peinlichkeit, hofft man. Um dann wieder einzuschränken, dass der Ruf jetzt wohl auch bei der Bevölkerung so gelitten habe, "dass da nicht mehr viel zu machen ist".

Medienschelte hört man nicht im Regierungslager, ganz im Gegenteil. Dabei ist das Pressecho verheerend. Angela Merkel bekam gestern in ihrer Datsche in Brandenburg eine kleine Auswahl von 20 Kommentaren präsentiert, die Wulff scharf angriffen. Das reichte von der Bemerkung der "FAZ", Wulff sei "von allen guten Geistern verlassen" über der Feststellung der "Süddeutschen", dass Wulff ein "falscher Präsident" sei, bis zur konservativen "Welt", die Wulff attestierte, er lebe "in der kleinbürgerlichen Welt eines Stromberg". Nur die heimatliche "Neue Osnabrücker Zeitung" bewunderte die "Nehmerqualitäten" des Präsidenten, kam allerdings auch zu einem höchst kritischen Schluss über sein Macht- und Politikverständnis. Ein solch einhellig katastrophales Medienecho habe er selbst zu Zeiten der Kohl-Affäre nicht gesehen, sagte ein entsetzter Koalitionär.

Es gab gestern zudem einige neue Nachrichten zum Fall Wulff. Dazu gehörte die Erklärung des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Thomas Oppermann, dass die Schonfrist für Wulff zu Ende gehe. Oppermann legte ihm nahe, sein Amt bis zur Klärung der Vorwürfe beim niedersächsischen Staatsgerichtshof ruhen zu lassen. Bisher hatte sich die SPD in der Affäre merklich zurückgehalten. Das ändert sich offenbar. Neu war gestern auch die Information, dass die Staatsanwaltschaft Hannover nun auch gegen Wulffs Ex-Sprecher Olaf Glaeseker wegen möglicher Gratis-Urlaube Vorermittlungen führt. Und neu war drittens die Mitteilung der "Welt", dass auch einer ihrer Journalisten im Sommer von Wulff zwecks Beschwerde ins Schloss Bellevue bestellt wurde, allerdings wegen eines Berichtes der Zeitung, der die Privatsphäre des Präsidenten betraf, konkret seine Halbschwester. Aus dem Präsidialamt selbst gab es gestern außer Schweigen zur Sache übrigens auch noch eine wichtige Mitteilung, einen Terminhinweis für den 6. Januar: "Bundespräsident empfängt Sternsinger". "Die politische Schonfrist

geht zu Ende."

Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer

der SPD-Fraktion

"Das ist nicht

die Größe, die

ich von einem Bundespräsidenten erwarte."

FDP-Vize Holger Zastrow über den Droh-Anruf Wulffs bei "Bild"-Chef Diekmann

Hintergrund

SollteChristian Wulff als Folge der Kredit-Affäre und ihren Weiterungen zurücktreten, stünde Schwarz-Gelb ohne eigene gesicherte Mehrheit in der Bundesversammlung da. Denn wenn jetzt ein neuer Bundespräsident gewählt werden müsste, könnten CDU/CSU und FDP nach Berechnungen der Internetseite www.election.de zusammen auf 622 bis 624 der 1240 Delegierten zählen. Das ist zwar rechnerisch eine ganz knappe absolute Mehrheit von zwei bis vier Stimmen. Doch zeigt die Praxis, dass mit etlichen Abweichlern zu rechnen ist. Auch will niemand auf die drei Stimmen der NPD angewiesen sein. So ist denkbar, dass es einen gemeinsamen Kandidaten von Regierung und Opposition geben würde.

Schon die Wahl Wulffs im Juni 2010 war für Union und FDP eine Hängepartie mit drei Wahlgängen. Dabei hatten sie 21 Stimmen mehr, als für die absolute Mehrheit erforderlich gewesen wären. dapd/afp

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