Das große Handtuch-Werfen

Hauen und Stechen bei den Grünen: Nicht nur an der Parteispitze hat das schwache Ergebnis bei der Bundestagswahl personelle Konsequenzen. Auch Jürgen Trittin, die Schlüsselfigur des verpatzten Grünen-Wahlkampfes, kündigte gestern seinen Rückzug vom Fraktionsvorsitz der Partei an.

Seine Co-Vorsitzende Renate Künast warf ebenfalls das Handtuch.

Die erste grüne Fraktionssitzung, an der neben den neuen auch die alten Abgeordneten teilnahmen, geriet gestern zum Scherbengericht über den verpatzten Wahlausgang. Gleich am Anfang gab Trittin bekannt, nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Nötig sei ein "personeller Neuanfang", meinte er. Dafür gab es stehenden Applaus. Letztlich beugte sich Trittin damit aber nur dem innerparteilichen Druck, der buchstäblich in den letzten Stunden zuvor immer stärker geworden war. Noch am Montag hatte Trittin auf die Frage nach personellen Konsequenzen erklärt: "Das wird man in aller Seelenruhe debattieren." Doch da war der 59-Jährige offenbar schon nicht mehr Herr des Verfahrens. "Er ist der Vater der gescheiterten Wahlstrategie. Deshalb steht auch er zur Disposition", meinte ein Vertreter des Realo-Flügels. Trittin wird vor allem das umstrittene grüne Steuerkonzept angelastet, das nach Einschätzung von Demoskopen wesentlich zur grünen Wahlpleite beigetragen hat. Aber auch bei Trittins Bataillonen, dem linken Parteilager, liefen bereits Planspiele für die Zeit nach ihm: Für den Fraktionsvorsitz kandidiert nun der Parteilinke Anton Hofreiter (43). Der Bayer sitzt seit 2005 im Bundestag und war dort zuletzt Vorsitzender des Verkehrsausschusses.

Für den Co-Chefposten der Fraktion - und damit auf dem "Realo-Ticket" - kündigte Katrin Göring-Eckardt ihre Kandidatur an. Sie würde Renate Künast (57) ablösen. Das war nach Trittins Rückzug der zweite Paukenschlag in der gestrigen Fraktionssitzung. Künast hatte ihren Verzicht auf den Fraktionsvorsitz bereits am Montagabend in einer internen Runde bekannt gegeben. Göring-Eckardts Kandidatur ist freilich umstritten. Die 47-jährige Thüringerin war im Wahlkampf Spitzenkandidatin neben Trittin. Viele machen auch sie für das schlechte Abschneiden der Grünen verantwortlich. Im Lager der Realos wurde Görings-Eckardts Vorstoß aber mit dem Hinweis gerechtfertigt, dass es für den personellen Neuanfang eine "gesunde Mischung" aus frischen und erfahrenen Leuten geben müsse. Die Wahl der Fraktionsspitze soll am 8. Oktober stattfinden.

Schon eine Woche später, am 15. Oktober, droht den Grünen ein weiteres personelles Kräftemessen. Dann soll die Fraktion ihren Kandidaten für den grünen Stellvertreter des Bundestagspräsidenten bestimmen. Bislang hatte Göring-Eckardt diesen Posten inne. Gestern kündigte Claudia Roth (58) ihre Bewerbung als Nachfolgerin an und verband dies mit dem Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den Parteivorsitz. Kurz drauf wurde bekannt, dass auch Künast den Job des Bundestagsvize anstrebt. Damit läuft alles auf eine grün-interne Kampfkandidatur hinaus.

Auch die Parteispitze steht vor einem personellen Umbruch. Für den Co-Vorsitz will Amtsinhaber Cem Özdemir erneut ins Rennen gehen. Die Wahl der grünen Führung, bei der auch der Parteirat komplett neu bestimmt wird, soll auf einem Bundesparteitag im November über die Bühne gehen. Bei dieser Gelegenheit, so die grüne Planung, könnte auch über eine Beteiligung an einer Regierung mit der Union abgestimmt werden. Praktisch ist das allerdings so gut wie ausgeschlossen. Denn selbst unter den grünen "Super-Realos" findet sich bislang kein einziger, der einer schwarz-grünen Koalition das Wort redet.

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