Das Geschäft mit alten Klamotten

Frankfurt/Saarbrücken · Wohlfahrtsverbände, Händler, dubiose Spendensammler und jetzt auch immer mehr Kommunen und Konzerne: Unzählige Akteure wollen die Deutschen überzeugen, ihnen alte Kleider zu spenden. Denn: Der Altkleidermarkt ist ein Millionengeschäft.

 Die Kommunen bessern mit Kleidersammlungen ihre klammen Kassen auf. Foto: Fotolia

Die Kommunen bessern mit Kleidersammlungen ihre klammen Kassen auf. Foto: Fotolia

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Der unmoderne Wintermantel wärmt Obdachlose, die Kinderhose geht direkt an arme Familien: Das erwarten die meisten Altkleiderspender zumindest; die Branche nennt das den "Sankt-Martins-Mythos". Dass der Altkleidermarkt ein Millionengeschäft ist, ist vielen Gebern nicht klar. Noch nicht.

Inzwischen bemühen sich immer mehr Akteure um gebrauchte Kleider: Kleiderketten wie H&M nehmen gebrauchte Ware zurück und geben dafür den Kunden Rabatt. Auch die Kommunen steigen ins Geschäft ein. Denn: Seit Sommer 2012 gilt das "reformierte Kreislaufwirtschaftsgesetz", nach dem die Kommunen den Betrieb von Altkleider-Containern genehmigen und selber Container aufstellen dürfen. Das bringt ihnen eine Machtstellung auf einem boomenden Markt.

350 Euro pro Tonne zahlen Textilsortierfirmen für Altkleider. 750 000 Tonnen spenden Deutsche pro Jahr. Das ist mehr, als die Kleiderkammern brauchen. Daher werden die meisten Kleiderspenden verkauft. Gemeinnützige Träger finanzieren mit den Erlösen ihre soziale Arbeit. Kommunen versprechen ihren Bürgern, damit die Müllgebühren stabil zu halten.

So auch die Stadt Saarbrücken. Seit Dezember 2012 gibt es in mehreren Stadtteilen die Kombi-Tonne für Papier und Altkleider. Alle acht Wochen können Bürger nach der Papierleerung auch in Säcke verpackte Kleider in die blaue Tonne einfüllen. Schon am nächsten Tag holt der Entsorger ZKE sie ab. Die Erlöse aus der Wiederverwertung, so verspricht die Stadt, bleiben in Saarbrücken und sollen auch die Müllgebühren stabilisieren. Die Kombi-Tonne gibt es bis jetzt in 15 Stadtteilen, in den anderen fünf soll sie bis Ende des Jahres kommen. Sie werde gut angenommen, sagt Stadtsprecher Thomas Blug. Hochgerechnet ergäben sich derzeit drei Kilogramm Kleider pro Einwohner und Jahr.

Der Entsorgungsverband Saar (EVS), der für 44 Kommunen zuständig ist, plant keine eigene Sammlung. Zum einen sei es zu teuer, ein paralleles System aufzubauen. Zum anderen wolle der Verband bewusst "nicht in Konkurrenz zu den gemeinnützigen Einrichtungen gehen", teilte eine Sprecherin mit. Die sind ohnehin nicht glücklich über die kommunalen Kleidersammlungen, die in ganz Deutschland zunehmend entstehen. Die Konkurrenz gefährde viele soziale Projekte, fürchtet Andreas Voget vom Dachverband Fair-Wertung. "Vereinzelt werden gemeinnützige Sammler regelrecht verdrängt." Das sieht auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) so, der größte gemeinnützige Sammler in Deutschland. "Es wurden auch Gemeinnützigen die Stammplätze gekündigt", sagt DRK-Sprecherin Stephanie Krone.

Das ist in Saarbrücken nicht der Fall. Das DRK bemerkt aber einen Rückgang an Spenden, seit die Stadt die Kombi-Tonne eingeführt hat. "Damit müssen wir leben", sagt ein Sprecher. Landesweit seien die Spenden zuletzt um ein Viertel zurückgegangen. Das größere Problem seien illegal aufgestellte Container. Zudem gibt es kommerzielle Sammler, die einen guten Zweck nur vortäuschen.

Verkauft werden die alten Kleider von allen Akteuren an Sortierbetriebe, die einen großen Teil der Kleidung nach Afrika und Osteuropa verkaufen - die sozialen Folgen sind umstritten. Die einen sehen positiv den Zugang zu günstiger Kleidung und Arbeitsplätzen im Handel. Andere sprechen von Arbeitslosigkeit durch eine von billiger Gebrauchtkleidung behinderte eigene Produktion. Eine ethische Zwickmühle für Spender.

Vor der stehen sie ohnehin: Spenden für eine gute Sache oder für die eigene Müllgebühr? Oder für einen Gutschein "die Müllberge senken", wie die Kleiderkette H&M motiviert? "Der gute Zweck ist auf jeden Fall ein psychologisch starkes Motiv", sagt Hartmut Kliemt, Professor für Philosophie und Ökonomik an der Frankfurt School of Finance and Management. "Intakte Kleider wegzuwerfen, bereitet moralisches Unbehagen. Verbunden mit einer guten Sache wird das Gefühl gelindert, und man erfährt soziale Anerkennung."

Dagegen ist der Anreiz, die eigenen Gebühren durch eine Spende an die Stadt niedrig zu halten, egoistischer - und entsprechend weniger anerkannt. "Aber man arbeitet an einem Kollektivgut mit - auch das ist ein moralisches Motiv, wenn auch ein schwächeres", so Kliemt.

Auch einen H&M-Gutschein hält der Professor für ein gutes Spendemotiv. Und von Konzernseite auch nicht unmoralisch. Dass Textilien statt im Müll beim Recycling landen, sei auch hier ein positives Argument. Das Image von Altkleidern werde sich durch die neuen nicht-gemeinnützigen Akteure womöglich verändern. "Den Menschen wird bewusster, dass aus Altkleidern ein Wirtschaftszweig wird", so Kliemt. Und dann könnte Moral in den Hintergrund treten und Altkleiderentsorgung schlicht zu einer Mülltrennungsfrage werden.

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