Das entzauberte Gesicht des Terrors

Die Aufnahmen zeigen einen graubärtigen Mann, der eingeschlagen in einer Decke auf dem Boden kauert und in eine billige Flimmerkiste starrt. Über den Monitor huschen Einstellungen Osama bin Ladens aus den Kampftagen, Porträts, die ihn in festlicher Robe und mit schwarzem Bart zeigen und auch ein Bildnis des amerikanischen Präsidenten Barack Obama

Die Aufnahmen zeigen einen graubärtigen Mann, der eingeschlagen in einer Decke auf dem Boden kauert und in eine billige Flimmerkiste starrt. Über den Monitor huschen Einstellungen Osama bin Ladens aus den Kampftagen, Porträts, die ihn in festlicher Robe und mit schwarzem Bart zeigen und auch ein Bildnis des amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Dazwischen hält der unbekannte Kameramann fest, wie der einsam fröstelnde Zuschauer mit einer Fernbedienung das TV-Menü aufruft. Er wählt zwischen Al Dschasira und Al Arabiya.Das Video stammt nach Angaben amerikanischer Regierungsmitarbeiter aus dem Fundus an Material, das die Navy Seals vor genau einer Woche bei ihrer geheimen Kommando-Aktion in Abbottabad sichergestellt haben. Dazu gehören Videos, Audioaufnahmen, schriftliche Dokumente, fünf Computer und insgesamt einhundert Laufwerke, Datensticks und andere Speichermedien über die der Al-Qaida-Führer mit der Außenwelt in Kontakt stand.

"Das war ein aktives Kontroll- und Befehlszentrum", lässt sich ein hoher Geheimdienstler in den amerikanischen Medien zitieren. "Selbst wenn er von vielen Al-Qaida-Angehörigen getrennt war, blieb er weit mehr als ein Aushängeschild."

Kuriere versorgten Bin Laden mit Informationen aus der Außenwelt, die sie ihm auf Datensticks und CDs übermittelten. Aus diesem Material saugte er Honig für seine audiovisuellen Botschaften, von denen er jedes Jahr ein halbes Dutzend veröffentlichte. Ob er über Internet-Zugang verfügte, darüber gibt es widersprüchliche Informationen. Sicher scheint nur, dass er diesen - falls vorhanden - nicht nutzte, um seine Aufrufe zu übermitteln.

Washington will mit der gezielten Veröffentlichung der insgesamt fünf Video-Sequenzen zum einen die Idee aus der Welt schaffen, Bin Laden habe nicht mehr als repräsentative Bedeutung für die Terrororganisation gehabt. Außerdem zielen die USA darauf ab, das überlebensgroße Image Bin Ladens ein für alle Mal zu zerstören.

Der auf dem Boden kauernde Mann kommt wie jemand daher, der beim Anblick seiner Bilder aus früheren Jahren von den guten alten Zeiten träumt. Ein verblichenes Abziehbild seiner selbst. Eingesperrt in ein dreistöckiges Haus, das von einem eingemauerten und mit Stacheldraht geschützten Gemüsegarten und Freiluftstall für das Hausvieh umgeben ist. Ein Terror-Fürst, der ständig zwischen einer Welt aus häuslich-familiärer Langeweile und düsteren Mordphantasien pendelt, die er durch den Konsum von Medien anregt.

Die Lichtgestalt, die Bin Laden für seine Anhänger darstellen möchte, erscheint in den übrigen Videos eher wie ein eitler Fatzke. Die Aufnahmen stammen vermutlich von 2010 und zeigen Bin Laden mit schwarz-gefärbten Bart. Die Kameraleute fummeln mit der richtigen Lichteinstellung herum, während der Al-Qaida-Chef scheinbar mehrfach ansetzt, um mit dem richtigen Ton aus Ausdruck über die Mattscheibe zu kommen.

Die Probeaufnahmen für einige der berüchtigten Videobotschaften kontrastieren mit der Realität des Flüchtlings, der frierend auf dem Boden hockt. Die US-Regierung ließ den Ton weg, angeblich um keine kostenlose Propaganda für Bin Laden zu machen. Experten vermuten, die Aufnahmen dürften in dem Haus in Abbottabad entstanden sein, in dem sich Bin Laden seit 2005 versteckte.

Die Nachbarn dachten, in dem Haus lebten bloß die beiden Khan-Brüder Arshad und Tariq mit ihren Familien. Sie galten als reiche, unauffällige, wenngleich eigenwillige Leute, die zwar zur Moschee gingen, aber niemanden zu sich einluden. Wenn Kinder einen Ball über die Mauer mit dem Stacheldraht schossen, drückten sie den Kleinen ein paar Rupien in die Hand, einen neuen zu kaufen, statt sie auf das Grundstück zu lassen.

Meinung

Propaganda-Krieg

Von SZ-KorrespondentThomas Spang

Die Auswahl der fünf Videos durch die US-Regierung zielt erkennbar darauf ab, eine doppelte Botschaft zu übermitteln: Bin Laden war ein entzauberter Terrror-Führer, der alles versuchte, wieder zu alter Stärke zurückzufinden.

Indirekt versuchen die Amerikaner damit auch den völkerrechtlich umstrittenen Einsatz zu rechtfertigen. Bin Laden mag zwar eine traurige Existenz hinter Mauer und Stacheldraht geführt haben, legen die nun veröffentlichen Videos nahe - aber hier liefen dennoch die Fäden des globalen Dschihad zusammen.

Das nun sichergestellte Material liefert den USA ein reichhaltiges Arsenal für einen Propaganda-Feldzug gegen die Al Qaida. Wenn die Amerikaner es richtig anstellen, könnte diese Waffe sogar gefährlicher und wirksamer sein als alle Soldaten, die noch am Hindukusch stationiert sind.

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Nach dem Tod Osama bin Ladens Unter dem Material, das im Versteck Osama bin Ladens gefunden wurde, sind auch mehrere Videobänder, die die USA nun teilweise veröffentlicht haben. Sie zeigen einen alten, gebrechlichen Mann, der sich aber immer noch als Kämp
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