Das Ende der Kreidezeit an den Schulen?

Berlin · Zwar sind Deutschlands Klassenzimmer keine digitale Wüste mehr, aber noch liegt das Tablet nicht gleichberechtigt neben Zirkel und Geodreieck. Bildungsministerin Wanka will nun mit viel Geld nachhelfen – und dafür das Grundgesetz überlisten.

 Vom digitalen Klassenzimmer sind Deutschlands Schulen weit entfernt. Ministerin Wanka will das ändern – und spendiert den Ländern fünf Milliarden Euro, wenn sie beim Digitalpakt mitziehen. Foto: Fotolia

Vom digitalen Klassenzimmer sind Deutschlands Schulen weit entfernt. Ministerin Wanka will das ändern – und spendiert den Ländern fünf Milliarden Euro, wenn sie beim Digitalpakt mitziehen. Foto: Fotolia

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Fünf Milliarden Euro will Johanna Wanka (CDU ) lockermachen, um in einem "DigitalPakt#D" mit den 16 Bundesländern die 40 000 deutschen Schulen über fünf Jahre computertechnisch aufzurüsten. Von Breitbandanbindung über WLAN bis hin zu Endgeräten. Die Riesensumme aus dem Haus der für Schulpolitik eigentlich gar nicht zuständigen Bildungsministerin hat viele überrascht. Denn die Ministerin hat ihre Legislatur-Agenda in der Bildungs- und Forschungspolitik bereits ein Jahr vor der Bundestagswahl 2017 eigentlich abgearbeitet.

Hintergrund scheint etwas anderes zu sein: Die Bildungsrepublik steckt in einer Art Schockzustand. Ausgelöst haben diesen zwei Studien, in denen Experten unmissverständlich davor warnten, dass Deutschland gerade die digitale Zukunft verschläft. Erstens landeten deutsche Kids beim internationalen ICILS-Vergleichstest 2014 mit ihren IT-Kenntnissen nur im Mittelfeld - viel "Gedaddel" mit dem Handy, aber wenig echtes Knowhow, so die Bilanz. Zweitens gibt es zwischen den 16 Ländern bei Computer-Ausstattung und IT-Unterricht allzu große Unterschiede, ergab die Ende 2015 vorgelegte Studie "Schule digital". Nur 35,6 Prozent der befragten Lehrer hält die pädagogische Unterstützung für ausreichend.

"Kein schöner Befund", fand damals Wanka. Aber spätestens von da an war klar: Berlin muss handeln - ausgerechnet in einem für den Bund heiklen Feld. Denn die Bildungspolitik ist Ländersache. Das regelt das "Kooperationsverbot". Doch Wanka hat einen Grundgesetz-Passus gefunden, der ihr einen Hebel bieten könnte: "Bund und Länder können bei der Planung, der Errichtung und dem Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechnischen Systeme zusammenwirken", heißt es in Artikel 91c. Ob das reicht, wird bei der Kultusministerkonferenz (KMK) noch geprüft. Allerdings wäre für die klammen Länder ein Milliarden-Geldregen für ein dringliches Schul-IT-Projekt natürlich verlockend.

Das Geld frei Haus bekommen die Länder aber nicht. Wanka will sie in bald startenden Verhandlungen verpflichten, digitale Bildung in der Praxis fest zu verankern - mit spezieller Lehrerausbildung, frischen Unterrichtskonzepten, gemeinsamen technischen Standards, Wartung und Betrieb der Technik. Die KMK hat vor wenigen Monaten selbst eine weitreichende Digitalstrategie entwickelt und stimmt sich offenkundig mit dem Bund ab. "Ein reflektierter und konstruktiver Umgang mit digitalen Medien ist für Kinder und Jugendliche heutzutage genauso bedeutsam wie Rechnen, Lesen und Schreiben. Es bedarf aber weiterer Impulse", sagt auch KMK-Präsidentin Claudia Bogedan (SPD ).

Die SPD ist grundsätzlich einverstanden, viel Geld in digitale Klassenzimmer zu stecken, verweist aber hartnäckig auf ihre wesentlich umfangreichere "Bildungsallianz" zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die umfasst auch die Sanierung von Schulgebäuden und den Ausbau der Ganztagsschulen. Kostenpunkt: neun Milliarden Euro bis 2021. Auch der DGB meint, Wanka springe zu kurz mit der Konzentration auf IT-Ausstattung. "Wo in Klassenzimmern der Schimmel die Wände hochkriecht und Schulklos verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und WLAN bereitzustellen", sagt DGB-Vize Elke Hannack. Die Kommunen fordern höhere Investitionssummen. Für digitale Bildung müssten "mindestens 2,5 Milliarden Euro pro Jahr aufgewendet werden", sagte Gerd Landsberg vom Städte-und Gemeindebund.

 „Wir müssen bei der digitalen Bildung einen großen Sprung nach vorne machen“: Ministerin Wanka gestern in Berlin. Foto: dpa

„Wir müssen bei der digitalen Bildung einen großen Sprung nach vorne machen“: Ministerin Wanka gestern in Berlin. Foto: dpa

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Digitale Technik in allen Ehren. Aber auch bei den Lehrern gibt es noch Potenzial. Laut Studie "Schule digital" setzt zumindest nur knapp die Hälfte der Lehrer einmal pro Woche im Unterricht Computer ein. Kaum jeder dritte Pädagoge entwickelt zusammen mit Kollegen computergestützte Unterrichtsstunden. Andererseits wünschen sich sechs von zehn Lehrern mehr Unterstützung für eine digitale Offensive in der Schule. Viele Pädagogen befürchten auch, dass der verstärkte Computereinsatz die Schreibfähigkeiten ihrer Schüler verschlechtert, dass sich die Jugendlichen dadurch vom eigentlichen Lernen ablenken lassen - und dass man als Lehrer die Kontrolle über den Unterricht verliert.

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