Das Eis ist gebrochen

Istanbul. Zauberkünstler ziehen hin und wieder einen Hasen aus dem Hut. Bei Angela Merkel war es eine Taube. In Ankara überreichte die Bundeskanzlerin dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gestern eine von einer Schülerin im nordrhein-westfälischen Unna gebastelte Friedenstaube mit Begleitbrief

Istanbul. Zauberkünstler ziehen hin und wieder einen Hasen aus dem Hut. Bei Angela Merkel war es eine Taube. In Ankara überreichte die Bundeskanzlerin dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gestern eine von einer Schülerin im nordrhein-westfälischen Unna gebastelte Friedenstaube mit Begleitbrief. Der als politisches Raubein bekannte und gefürchtete Erdogan, der sich noch kurz vor Merkels Besuch über die Kanzlerin beschwert hatte, lächelte gerührt. Das Eis war gebrochen.Das zeigte sich auch später bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Erdogan. Selbst bei der Forderung des türkischen Ministerpräsidenten nach Einrichtung türkischer Gymnasien in Deutschland, die in den vergangenen Tagen für so viel Wirbel gesorgt hatte, gab es eine Annäherung. Anders als in bisherigen Interview-Äußerungen zeigte sich Merkel nun offen für Erdogans Wunsch, auch wenn sie betonte, dass türkische Schulen kein Vorwand sein dürften, das Deutschlernen zu vernachlässigen. Dem konnte auch Erdogan zustimmen. In türkischen Regierungskreisen hieß es, die deutsche und die türkische Seite seien sich einig, dass in Deutschland zweisprachige Schulen entstehen könnten.Eine Entschärfung gab es auch im frisch aufgeflammten Streit um die türkische EU-Kandidatur. Vor ihrem Besuch hatte die Kanzlerin erstmals ihren Vorschlag einer "privilegierten Partnerschaft" zwischen EU und Türkei als Ersatz für die angestrebte Mitgliedschaft der Türkei dargelegt, was Erdogan postwendend und schroff ablehnte. In Ankara wich Merkel zwar nicht von ihrer Linie ab, unterstrich aber den alten Grundsatz des "pacta sunt servanda": Verträge sind einzuhalten. Das bedeutet, dass die Verhandlungen vorerst weiter laufen. "Wir unterstützen den Verhandlungsprozess."Am Ende ihrer Pressekonferenz lächelten Merkel und Erdogan in die Kameras. Zu Beginn ihrer Unterredung seien die beiden Regierungschefs noch etwas kühl gewesen, doch das habe sich im Laufe des Gesprächs gegeben, berichtete ein Teilnehmer. Auch der Empfang für Merkel in Ankara am Mittag war recht frostig gewesen. Die Chefs der beiden größten Oppositionsparteien im türkischen Parlament lehnten ein Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin kühl ab. Und beim türkischen EU-Unterhändler Egemen Bagis musste Merkel kurz nach ihrer Landung gleich ihren Vorschlag einer "privilegierten Partnerschaft" erläutern. "Sie missverstehen uns", sagte Merkel dabei laut Berichten der türkischen Seite. Natürlich stehe Deutschland dazu, dass die 2005 begonnenen Beitrittsverhandlungen weitergehen sollten. Nur eben "ergebnisoffen" - ohne Garantie einer späteren Aufnahme. Solange die Deutschen die EU-Verhandlungen in Brüssel nicht blockieren, ist Ankara beruhigt: Wenn sich die Frage der EU-Aufnahme des Landes stelle, werden Merkel und Sarkozy ohnehin nicht mehr regieren, lautet die türkische Überlegung.Meinung

Zeit zum Zurückschalten

Von SZ-Mitarbeiterin Susanne Güsten Es wird höchste Zeit, dass alle Beteiligten im deutsch-türkischen Streit einen Gang zurückschalten. Deshalb war es gut, dass sich Erdogan und Merkel um Entspannung bemühten. Das bedeutet nicht, dass einer die Position des Gegenübers übernehmen muss. Die Türken haben das Recht, Merkels Forderung nach einer "privilegierten Partnerschaft" abzulehnen, während sie mit der EU über eine Vollmitgliedschaft verhandeln. Sie könnten Merkel aber fragen, was genau sie sich darunter vorstellt. Die Deutschen dürfen türkische Schulen in der Bundesrepublik als integrationsschädlich verwerfen. Sie könnten sich aber dafür interessieren, warum Erdogan solche Schulen für notwendig hält.

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