Das Duell

Saarbrücken · Das historische deutsche Finale in der Champions League dürfte Ende Mai zum nationalen Fußball-Fest werden. Die Mehrheit der Deutschen wünscht Dortmund den Titel. Der FC Bayern aber glaubt fest an das Triple.

2128,25 Euro. Das ist der Preis. Für einen Sitzplatz. Im Wembley-Stadion. Am 25. Mai 2013. Zumindest die vielerorts verhasste Ticketbörse Viagogo ruft diesen Preis auf, Buchungsgebühr inklusive. Es wird nicht wenige geben, die den Preis bezahlen werden für das "bedeutendste Fußballspiel mit deutscher Beteiligung des bisherigen Jahrtausends", wie die "Süddeutsche" befand. Der Preis wird bezahlt, weil man anders kaum an Karten kommen dürfte. Selbst ein Presseplatz beim NSU-Prozess war leichter zu ergattern. Borussia Dortmund hat bereits 250 000 Anfragen für rund 25 000 Karten vorliegen, man rechnet mit einer halben Million Interessenten. Auch beim FC Bayern muss unter notarieller Aufsicht gelost werden.

Und es stimmt ja: Es ist wirklich historisch, was da in drei Wochen geschehen wird, ausgerechnet in Wembley, der Schicksalsstätte des deutschen Fußballs. Hier wurden wir 1966 mit dem umstrittensten Tor aller Zeiten um den WM-Sieg betrogen. Hier gewannen wir 30 Jahre später dank eines goldenen Tores von Oliver Bierhoff den bislang letzten Titel mit der Nationalelf. Und es war ausgerechnet der Deutsche Dietmar Hamann, der im Jahr 2000 das letzte Tor im alten Wembley-Stadion schoss - zum 1:0 über England, einfach historisch.

Jetzt, 2013, wird wieder Geschichte geschrieben. Nie zuvor standen sich zwei deutsche Vereine im Endspiel der Champions League gegenüber. Historisch war aber auch der Weg nach Wembley. Erst freuten sich die Dortmunder nach dem 0:2 in Madrid über die schönste Niederlage der Vereinsgeschichte, dann geschah am Mittwoch eben das, was "im vergangenen Jahrhundert nicht so oft passiert" ist, wie Bayern-Star Thomas Müller grinsend erklärte: die neuerliche Demütigung des FC Barcelona. Für Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge ist nach dem "historischen Abend" klar, dass das aktuelle Team "die Geschichtsbücher des FC Bayern neu schreiben" kann. Selbst in den glorreichen 70ern war dem FCB ein Dreifach-Triumph nicht vergönnt, den man jetzt gegen Dortmund und im DFB-Pokal gegen Stuttgart perfekt machen kann.

Überhaupt perfekt. Es gibt wohl kein Wort, das die derzeitigen Auftritte des Rekordmeisters besser beschreiben könnte. Die Pleite gegen Inter 2010 und das "Drama dahoam" 2012 haben unglaubliche Energien freigesetzt. "Noch nie hat eine Mannschaft so attraktiv und erfolgreich Fußball gespielt wie wir", findet Trainer Jupp Heynckes, dem man eine gewisse Befangenheit unterstellen möchte. Allerdings sind die Stimmen aus Europa kaum anders. Sogar die britischen Zeitungen, eher bekannt für übelste Deutschland-Hetze, waren nach Barcelona außer sich: "Das war ein Statement der deutschen Macht. Die Liebesbezeugung für den deutschen Fußball ist völlig verständlich." Europa liebt uns, wann hat es das je gegeben? Auch Italien spricht von einer "epochalen Wende" - und dass sich die Spanier "der deutschen Übermacht ergeben" müssten.

Bleibt nur die Frage, wer sich der Übermacht final ergeben muss - der BVB oder doch der FCB? Für die großen Wettenanbieter ist die Sache klar. Dort gab es gestern für einen Bayern-Triumph 14 Euro für 10 Euro Einsatz - ein Dortmund-Sieg ist dagegen fast 30 Euro wert. Auch Jürgen Klopp, der emotional entgrenzte BVB-Erfolgstrainer, hat die Rollen verteilt: "Wir werden nicht der Favorit sein." Gleichwohl stellte er klar, nicht mit einer Touristen-Truppe nach London zu reisen. Das Finale sei "einer der größten Momente meines Lebens".

Euphorisiert sind auch die Fans beider Lager - und der deutsche Fußball-Fan an sich. Bis zu 17 Millionen Menschen sahen die Bayern am Mittwoch siegen, das ZDF freute sich über einen Marktanteil von 46 Prozent. Es war das bisher meistgesehene Halbfinale der Champions League und die meistgesehene Sendung 2013. Fußball ist "in" wie noch nie.

Auch in und vor Deutschlands Kneipen herrschte eine Stimmung, wie man sie nur von WM oder EM kennt. Für das Endspiel plant Berlin jetzt sogar eine Fanmeile, in Dortmund und München werden Großbildleinwände aufgestellt. Der Kampf um die Vorherrschaft in Europa elektrisiert die Massen, nebenbei geht es aber ganz profan auch um jede Menge Geld. 10,5 Millionen Euro warten auf den Sieger von Wembley, der Verlierer muss sich mit 6,5 Millionen Euro trösten. Insgesamt haben Bayern und Borussen in dieser Saison der "Königsklasse" jeweils schon über 60 Millionen Euro eingenommen.

Weil Bayern demnächst viel von dem vielen Geld nach Dortmund überweisen wird, um den talentierten Mario Götze in den Freistaat zu holen, ist die Stimmung der Kontrahenten derzeit allerdings ausbaufähig. Der Millionen-Transfer und die Permanent-Gerüchte um Torjäger Robert Lewandowski nerven den BVB. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke kündigte schon mal an, dass es am Samstag beim bedeutungslosen Bundesliga-Duell anders als üblich kein gemeinsames Mittagessen mit der Gäste-Delegation geben werde. Man werde die Vertreter der Bayern aber "per Handschlag" begrüßen, sagte Watzke: "Es ist keine Feindschaft."

Mal sehen, ob sich das bald durch ein paar provokante Äußerungen noch ändern wird. Denn nach zwei Jahren voller Demütigungen durch den BVB wird man beim FC Bayern alles dafür tun, damit die Verhältnisse im deutschen Fußball eindeutig geklärt bleiben. So wie sich das der angeschlagene Präsident Uli Hoeneß wünscht.

Die Mehrheit der Deutschen jedoch wünscht Dortmund den Sieg. Das haben zwei Umfragen ergeben. Für Freunde von Verschwörungstheorien steht ohnehin lange fest, dass nur der BVB den Titel holen kann - weil sich Geschichte wiederholt. Die Fußball-Geschichte des Jahres 1997: Stuttgart gewinnt den DFB-Pokal, Bayern die Meisterschaft, Dortmund die Champions League. Es bleibt spannend.

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