Das blutige Erbe des „dummen Krieges“

Während im Irak islamistische Kämpfer auf die Hauptstadt vorrückten, ließ der designierte neue US-Botschafter in Bagdad eine politische Fata Morgana erscheinen: In einer Anhörung vor dem Senat in Washington sprach Stuart Jones über die Versuche, einen „neuen Irak“ aufzubauen, mit „sicheren Grenzen“ und „demokratischen Institutionen“. Natürlich, in seinen Einlassungen vor den Senatoren verschwieg Jones am Mittwoch nicht das „schwierige Sicherheitsumfeld“.

Der jüngste Vormarsch der radikal-sunnitischen Organisation Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isil) verdeutliche die Gefahren, sagte er. Dennoch scheint es, als wolle die Regierung von US-Präsident Barack Obama nicht wahrhaben, dass der Irak keine drei Jahre nach dem Abzug der letzten US-Truppen im Chaos versinkt.

Nach UN-Angaben starben vergangenes Jahr mehr als 7800 Zivilisten und mehr als tausend Sicherheitskräfte bei Angriffen im Irak . Die Gewalt ist so schlimm wie seit 2006 und 2007 nicht mehr, als sich die Rivalität zwischen der schiitischen Mehrheitsbevölkerung und der sunnitischen Minderheit in einem blutigen Bürgerkrieg entlud und Al Qaida das Land mit Selbstmord attentaten terrorisierte. Anfang dieses Jahres überrannten radikale Islamisten die Stadt Falludscha, nun nahmen Isil-Kämpfer die Millionenstadt Mossul ein und besetzten auch Tikrit.

Kämpfer der Isil rückten gestern bis auf 60 Kilometer an Bagdad heran, bevor ihr Vormarsch gestoppt werden konnte. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Norden zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500 000 vor den Extremisten geflohen. Im Internet verbreiten Anhänger von Isil die Parole, bis nach Bagdad vordringen zu wollen. Ihr Sprecher verkündete in einer Videobotschaft, es gebe dort eine Rechnung mit der schiitischen Regierung zu begleichen. "Gebt nicht einen Meter befreites Land zurück - außer mit euren toten Körpern." Isil will einen sunnitischen Gottesstaat errichten, der im Wesentlichen Syrien und den Irak umfasst.

Experten der Washingtoner Denkfabrik Center for Strategic and International Studies warnten bereits vor Monaten, dass das Land erneut "am Rand eines Bürgerkrieges" stehe. "Der Irak ist eine Nation, die durch die Zerrüttung und die Fehler der US-geführten Invasion im Jahr 2003 sowie den misslungenen Aufbau eines politischen Systems und einer effektiven Regierung (…) belastet wird", heißt es dort.

US-Präsident Barack Obama war noch einfacher Senator, als er die Irak-Invasion als "dummen Krieg" anprangerte. Ende 2011 löste er sein Wahlversprechen ein und holte die letzten US-Soldaten heim. Eine erneute Entsendung von Bodentruppen kommt für ihn nicht in Frage. Angesichts der jüngsten Geländegewinne der Dschihadisten werde nun aber eine Luftunterstützung erwogen, verlautete aus Regierungskreisen in Washington. Am liebsten hätte die Weltgemeinschaft den Irak schon vor Jahren irgendwo eingesperrt und den Schlüssel weggeworfen. Eine neue Anschlagswelle? Parlamentswahlen? Interessierte niemanden. Die Europäer haben sich schon lange aus dem Staub gemacht. Und am Ende konnte es auch den Amerikanern gar nicht schnell genug gehen, dem Zweistromland den Rücken zuzukehren. Zurück blieb eine Regierung, die unfähig ist, das Land zu einen. Wirklich überraschend ist aber, wie schwach die irakische Armee zu sein scheint. Trotz jahrelanger Ausbildung sind die Einheiten vor den der Isil-Dschihadisten, die selbst Al Qaida zu extrem findet, einfach davongerannt. Das blamiert auch die Amerikaner, die diese Soldaten jahrelang ausgebildet und Unsummen in die Ausrüstung gesteckt haben.

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Linke sehen deutsche MitschuldDer außenpolitische Sprecher der Linken, Jan van Aken, gibt der Bundesregierung indirekt eine Mitschuld an der dramatischen Entwicklung im Irak , weil sie Waffenlieferungen an Länder genehmige, die die Islamisten unterstützten. "Hier muss die Bundesregierung ihre Haltung dringend revidieren", sagte van Aken. Die Islamisten in Syrien und im Irak würden ganz massiv von Katar und Saudi-Arabien unterstützt. "Ausgerechnet diese beiden Staaten zählen aber zu den größten Empfängern deutscher Rüstungslieferungen", erklärte van Aken der Saarbrücker Zeitung in einem Interview. vetDas Interview im Wortlaut findet sich im Internet unter: www.saarbruecker-zeitung.de/aken

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