Das bekannte Gesicht, das kaum jemand kennt
Saarbrücken. Die Kaiserstraße in Saarbrücken. Es geht gen Feierabend. Geschäfte schließen. Auf Bürgersteigen, an der Saarbahn-Haltestelle tummeln sich Passanten. Nadine Keßler lehnt auffällig einsam an einer Säule eines Bankhauses. Die Saarbahn rumpelt im Hintergrund heran. Fahrgäste steigen ein und aus. Nadine zieht die Blicke auf sich
Saarbrücken. Die Kaiserstraße in Saarbrücken. Es geht gen Feierabend. Geschäfte schließen. Auf Bürgersteigen, an der Saarbahn-Haltestelle tummeln sich Passanten. Nadine Keßler lehnt auffällig einsam an einer Säule eines Bankhauses. Die Saarbahn rumpelt im Hintergrund heran. Fahrgäste steigen ein und aus. Nadine zieht die Blicke auf sich. Zum einen, weil sie rein optisch ein Blickfang ist. Zum anderen, weil Fotograf Oliver Dietze sie ablichtet. "Ist sie eines dieser Nachwuchs-Fotomodelle aus dem Fernsehen?", fragt ein älterer Herr, der stehen bleibt. Fans des 1. FC Saarbrücken pilgern derweil vorbei. Die jungen Männer mit FCS-Schals werfen Blicke auf die Schwarzhaarige. Eben ein Augenschmaus - zwar nicht in blau-schwarzen, aber in coolen weiß-schwarzen Klamotten. Die Jungs marschieren Richtung Ludwigspark-Stadion. Dort spielt gleich Fußball-Oberligist FCS. Nadine lässt sich nicht wirklich ablenken, schaut mit ihren braunen Augen lasziv in die Kamera. "Sei locker, du selbst", sagt Fotograf Dietze. Die 20-Jährige befolgt dies fast wie ein Medien-Profi. Dabei macht sie im Umgang mit Medien erst seit Kurzem intensive Erfahrungen. Seit feststeht, dass sie im DFB-Pokalfinale steht.
Immer mehr FCS-Fans laufen durch die Kaiserstraße. Keiner erkennt Nadine. Dabei ist sie das beste, was der 1. FC Saarbrücken, was das Fußball-Saarland zu bieten hat. Zwei Mal Europameisterin mit der deutschen U19-Nationalelf. Zwei Mal Torschützenkönigin der Zweiten Bundesliga Süd. Und Nadine könnte das Gesicht der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland werden. Doch der Kapitän des Bundesligisten FCS und der U19-Nationalmannschaft bremst ein wenig. "Ich will dabei sein. Ich glaube daran - aber nur, wenn ich gesund bleibe und intensiv trainieren kann", sagt die fast zierliche, 1,69 Meter große Pfälzerin.
Wenn sie ihre coolen Klamotten mit dem Trikot tauscht, trägt sie die Nummer zehn auf dem Rücken - und die Kapitänsbinde. Die Spielführerin gibt den FCS-Frauen wie keine zweite ein unverwechselbares, erfolgsorientiertes Gesicht. Sie ist sich ihrer Vorbildfunktion in dem jungen Team, das von Experten wie Siegfried Dietrich, Manager des FFC Frankfurt, als Mannschaft der Zukunft gesehen wird, bewusst. Ruhig beschreibt sie, wie emotional sie auf dem Spielfeld ist: "Als Spielführerin kann ich keine graue Maus sein." Was mitunter arrogant rüberkomme.
Arrogant wirkt sie außerhalb des Spielfeldes nicht. Sie wohnt im Haus der Athleten an der Saarbrücker Hermann-Neuberger-Sportschule. Als Soldatin der Sportförderkompanie kann Nadine neun Mal in der Woche trainieren: vier Mal mit dem FCS, zwei Mal mit Privattrainer Oliver Mühlbredt, ein Mal beim Sprinten, zwei Mal alleine. Das ist im Frauenfußball Seltenheit.
Trotz des Pensums, das sich hinter dem männlicher Kollegen nicht zu verstecken braucht, wird Nadine anders als diese auf der Straße nicht erkannt - und verdient keine Unsummen, sondern studiert nebenher Fitness-Ökonomie. "Vergangene Woche war ein Speerwerfer hier. Hmm, ich glaube, das war der Boris Henry?", vermutet ein Passant, als er Nadine vor einem Caf&; in der Sulzbachstraße sieht - und fragt: "Wer ist diese hübsche Dame?" Die Dame ist ein Stern, der im Frauenfußball aufgeht - und mit beiden Füßen auf dem Boden bleibt. Ein Familienmensch, dem der Fußball in die Wiege gelegt wurde: Papa Vorstand, Bruder Trainer, Mama Clubwirtin. Alle beim SC in Weselberg, einem 1000-Seelen-Ort bei Landstuhl. Und die Schwester ist ihr größter Fan. "Bei der Familie hatte ich keine andere Wahl als Fußballerin zu werden", sagt Nadine schmunzelnd.
Ehrlich. Emotional. Verantwortungsbewusst. Bodenständig. So beschreibt sie sich: "Ich bin ein Kumpeltyp." Wohl auch, weil sie auf dem Bolzplatz mit Jungs gekickt hat. Diese Straßenfußballerin verkörpert den Aufstieg des Frauenfußballs an der Saar, den Günter Müller, Präsident des Saarländischen Fußballverbands (SFV), neues Flaggschiff des SFV nennt: Von 113000 SFV-Mitgliedern sind bereits 14500 weiblich. Zuwachsraten in den vergangenen Jahren liegen bei 25 Prozent. 30 Mädchen-Teams im Jahr 2002 stehen jetzt 100 gegenüber. Vorläufiger Höhepunkt des Booms: der Einzug des FCS, bei dem 16 von 20 Spielerinnen aus dem Saarland sind, ins DFB-Pokalfinale gegen den besten Club der Welt, den FFC Frankfurt, mit Weltstar Birgit Prinz.
"Ich sehe viel Perspektive beim FCS. Nicht wegen des Finales, sondern weil wir als Bundesliga-Aufsteiger nicht wieder nach unten durchgereicht werden", sagt Nadine, die mit Sarah Karnbach die U13 des SFV trainiert - und die Zukunft des Frauenfußballs mitgestaltet. Das erzählt sie, als sie bei einem Frisör in der Passagestraße gestylt wird. Dort erklärt sie beim Anblick des DFB-Pokals in einer Zeitung: "Geil! Den will ich haben. Aber die Chancen stehen 1:1000." Doch sollte dem FCS im Finale die Überraschung gelingen, würde Nadine Keßler wohl nicht mehr unerkannt durch die Kaiserstraße laufen. > Seiten D1 und D2: weitere Berichte
Auf einen Blick
Zum Finale reisen der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, Innen- und Sportminister Klaus Meiser, Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, ihr Sport- und Sicherheitsdezernent Paul Borgard und Gerd Meyer, Direktor der Saarland-Sportoto GmbH und Präsident des Landessportverbandes für das Saarland, an. Das Spiel der Frauen des FCS gegen Frankfurt beginnt um 16.30 Uhr. Es wird live im ZDF und im Hörfunk bei Antenne Saar in voller Länge übertragen. mak