Interview „Dann müsste man auch über Taufe diskutieren“

Sollten auch Minderjährige ein Kopftuch tragen dürfen? Die Vorsitzende des Antidiskriminierungsforums Saar ist strikt gegen Verbote – und erklärt warum. 

 Karin Meißner, Vorsitzende des Antidiskriminierungsforums Saar.

Karin Meißner, Vorsitzende des Antidiskriminierungsforums Saar.

Foto: Iris Maurer

Frau Meißner, was halten Sie vom Kopftuchverbot für Minderjährige?

MEISSNER Ich halte von einem Kopftuchverbot, unabhängig vom Alter, gar nichts. Auch wenn ein positives Anliegen dahintersteckt: Es ist eine Maßnahme, die völlig kontraproduktiv ist. Wenn wir das machen, dann müssten wir auch Traditionen wie Taufe oder Beschneidung diskutieren. Die Gesellschaft müsste noch einmal grundsätzlich hinterfragen, wie sie mit religionsunmündigen Kindern umgeht.

Ist dieses Hinterfragen denn grundsätzlich abzulehnen?

MEISSNER Naja, man müsste den gesamten Erziehungsauftrag, das Recht auf Erziehung von Eltern hinterfragen, das heißt ihre Rolle bei der Vermittlung von Werten, Traditionen und Überzeugungen.

Aber es geht hier doch auch um Zwang und Gewalt.

MEISSNER Eltern haben nicht das Recht, Gewalt anzuwenden. Und wenn sie es tun, sollten sich die zuständigen Stellen damit auseinandersetzen. Wenn das Jugendamt eingreift, dann geht es in der Regel darum, dass eine Kindeswohlgefährdung angenommen wird oder Eltern Grundbedürfnisse ihrer Kinder nicht erfüllen. Dafür gibt es relativ klare Vorgaben.

Stört es Sie nicht, wenn eine Siebenjährige ein Kopftuch trägt?

MEISSNER Natürlich finde ich das nicht gut, wenn Eltern eine Siebenjährige nötigen, Kopftuch zu tragen. Aber mich stört vor allem die aufgeblasene Debatte. Ähnlich wie bei der Burka. Wenn man die Schulen befragt, sagen die meisten, dass das Kopftuch bei unter 14-Jährigen selten ein Thema ist. Und wenn, dann ist das Tragen des Kopftuchs kein Problem.

Zwang ist also kein Problem?

MEISSNER Die Beweggründe, weshalb ein Mädchen ein Kopftuch trägt, sind ja unterschiedlich. Wenn sie ein bisschen älter sind, kann es um die eigene Religiosität und Überzeugung gehen oder auch mal um Rebellion gegen die Eltern oder gegen die Stigmatisierung durch die Gesellschaft. Bei Jüngeren geht es auch um Nachmachen, um das Kopieren dessen, was die Mutter macht. Und es geht manchmal um Zwang. Im Grundschulalter haben wir auch die Variante, dass Mädchen ein Kopftuch tragen, weil sie sich damit auseinandersetzen, und es dann wieder nach kurzer Zeit ablegen.

Aber wie gehen wir damit um, wenn wir wissen, dass das Kopftuch unfreiwillig getragen wird?

MEISSNER Die Frage ist: Wie garantieren wir Kindern eine freie Entwicklung? Das geht nicht mit dem erhobenen Zeigefinger in Richtung Muslime. Wir müssen die Debatte zum Thema Gleichberechtigung insgesamt stärker führen. Auch darüber, woran wir sie festmachen – dem Kopftuch oder Germany’s Next Topmodel? Und wir müssen eine Sensibilität dafür entwickeln, wenn Kinder zu etwas gezwungen werden. Ich muss da an ein Mädchen im Kindergarten denken, dessen Mutter magersüchtig war. Sie hat ihrer Tochter verboten, im Kindergarten was zu essen. Dieses Mädchen war modemäßig allen anderen Mädchen ein Vorbild. Sie war der Star. Auch damit musste sich der Kindergarten auseinandersetzen: Man vermutete, dass das Kindeswohl gefährdet war, schreckte aber stark davor zurück, in die Erziehungsgewalt der Mutter einzugreifen. Wir sollten uns also mit dem Einzelfall auseinandersetzen.

Dieser Fall zeigt doch, dass die Erziehungsgewalt der Eltern nicht über allem stehen darf. Ginge ihnen denn selbst ein Kopftuchverbot an Grundschulen zu weit?

MEISSNER Ja. Diese ganzen Verbote treiben ganz seltsame Blüten. In Österreich wurde ein Mann angezeigt, der als Werbefigur ein Haifischkostüm trug. Wichtig ist, dass wir Mädchen und Frauen, die tatsächlich von Zwang betroffen sind, so nicht stärken, sondern sie doppelt treffen und eher aus der Gesellschaft verbannen.

Ist es nicht Fakt, dass Mädchen, wenn sie das Kopftuch früh tragen, es so schnell nicht mehr ablegen?

MEISSNER Ich weiß nicht, ob das Fakt ist. Es gibt leider keine Zahlen dazu. Ich erlebe sehr viele junge Mädchen, oft älter als 14 Jahre, die es aus eigener Überzeugung tragen – und warum sollten sie es dann wieder ablegen? Man kann keine verlässlichen Aussagen darüber machen, was mehrheitlich dahintersteckt, wenn Mädchen ein Kopftuch tragen.

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