"Da kommt ein Tsunami"

Es war ein verhängnisvolles Wort, das nicht wenige Portugiesen seit Wochen mit Sorge erwartet hatten, und dieses Wort sagt eigentlich alles: "Hilfe." In riesigen weißen Lettern vor schwarzem Hintergrund prangt es auf der Titelseite der portugiesischen Tageszeitung "Publico"

Es war ein verhängnisvolles Wort, das nicht wenige Portugiesen seit Wochen mit Sorge erwartet hatten, und dieses Wort sagt eigentlich alles: "Hilfe." In riesigen weißen Lettern vor schwarzem Hintergrund prangt es auf der Titelseite der portugiesischen Tageszeitung "Publico". Darüber ein Foto jenes Mannes, der es nicht schaffte, das Land aus dem Schuldenstrudel zu führen und kurz vor dem Untergang den Rettungsknopf drückte: José Sócrates (53), sozialistischer Übergangs-Regierungschef, der bereits vor zwei Wochen die Brocken hingeworfen hatte und zurückgetreten war. "Da kommt ein Tsunami auf uns zu", sagte Staatssekretär Carlos Zorrinho nach der Katastrophen-Nachricht.Sócrates' Botschaft an das Volk in der Nacht zum Donnerstag verhieß keine einfache Zukunft: Seine Regierung habe "im nationalen Interesse" beschlossen, "die EU-Kommission um finanziellen Beistand zu bitten". Ohne diesen Hilferuf wäre Portugal unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt. "Die Situation würde sich verschlimmern, wenn nichts getan würde", sagte Sócrates mit versteinerter Miene in seiner nächtlichen Rede an die Nation. Stunden zuvor hatte er ausländische Hilfe noch abgelehnt.

Den Ausschlag hatten jene Horrorzinsen gegeben, welche die Finanzmärkte dem Schuldenland Portugal in den letzten Tagen abknöpften. Vor Sócrates' Hilferuf hatten sich die Zinsen für einjährige Anleihen auf fast sechs Prozent geschraubt, für drei- bis fünfjährige Schuldpapiere musste Portugal den Anlegern mehr als neun Prozent Zinsen hinblättern. Zehnjährige Anleihen lagen nur knapp darunter und damit fast auf der Höhe des Pleite-Eurolandes Irland. "Das kann kein Staat lange aushalten", stöhnte man im Finanzministerium in der Hauptstadt Lissabon.

"Ich habe tagelang dafür gekämpft, dass dies nicht geschieht", sagte ein sichtlich angeschlagener Sócrates mit grauem Gesicht in seiner TV-Ansprache. Er ahnte vermutlich, dass dieser Offenbarungseid auch das Ende seiner politischen Karriere einleiten dürfte. In der vorzeitigen Neuwahl des portugiesischen Parlamentes am 5. Juni räumen die Umfragen ihm und seinen Sozialisten keine Chance ein. Sócrates war vor zwei Wochen zurückgetreten, nachdem die Parlamentsmehrheit eine neue harte Sparrunde mit tiefen sozialen Einschnitten als "unzumutbar" abgelehnt hatte.

Oppositionschef Pedro Passos Coelho (46), Vorsitzender der konservativen Sozialdemokraten: "Man kann einem Volk nicht Brot und Wasser verordnen." Passos Coelho, der vermutlich Portugals neuer Ministerpräsident werden wird, fordert schon länger europäische Unterstützung und ging mit Sócrates hart ins Gericht: Dieser habe in der Vergangenheit "ein illusorisches Bild eines Landes geschaffen, das keine Hilfe braucht und das die Sparziele erreicht, aber dies hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun".

In der Tat musste die Europäische Kommission in den letzten Monaten schon mehrfach eingreifen: Zuletzt Ende März, als die Brüsseler Buchprüfer entdeckten, dass Portugals Haushaltsdefizit höher war, als von Sócrates angegeben. Es lag 2010 bei 8,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und nicht, wie versprochen, bei 7,3. Womit Portugal das angestrebte Sparziel der Haushaltssanierung klar verfehlte. Schon heute werden die EU-Finanz- und Wirtschaftsminister in Budapest sich dem neuen Pflegefall Portugal annehmen.

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