Chinas Staatsfeind Nr. 1 und der "Dynamitpreis"

Peking. "Chinesen, dies ist der glücklichste Tag in den vergangenen 60 Jahren. Von heute an können wir in die Zukunft schauen." Mit dieser Twitter-Nachricht feierte der kritische Künstler Ai Weiwei am Freitag die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo

Peking. "Chinesen, dies ist der glücklichste Tag in den vergangenen 60 Jahren. Von heute an können wir in die Zukunft schauen." Mit dieser Twitter-Nachricht feierte der kritische Künstler Ai Weiwei am Freitag die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo. "Danke Norwegen, du hast dem chinesischen Volk eine Chance für eine glänzende Zukunft beschert", schrieb der Blogger Michael Anti und lud zum "Trinken bis zum Bankrott" ein, obwohl er noch immer von Weinkrämpfen geschüttelt werde.

Zehntausendfach verbreitete sich die Euphorie gestern im chinesischen Netz - allerdings nur bei der kleinen Minderheit derer, die sich den Zensur-Mechanismen zu entziehen wissen, mit denen Chinas Kommunistische Partei kontrollieren will, was ihr Volk weiß und was nicht. Dass zum ersten Mal ein chinesischer Staatsbürger einen Nobelpreis gewonnen hat, gehört nach Ansicht der Regierung zu den gefährlichsten Informationen seit Jahren.

Es war um Punkt 17 Uhr chinesischer Ortszeit, als im fernen Oslo Komiteechef Thorbjørn Jagland vor die Presse trat und erklärte, dass die diesjährige Ehrung an den derzeit in China inhaftierten Initiator des Demokratiemanifests "Charta 08" gehe. Damit werde Lius "langer und gewaltloser Kampf für fundamentale Menschenrechte in China" gewürdigt, sagte Jagland und erhob harte Vorwürfe gegen die chinesische Regierung. Obwohl Chinas Verfassung Redefreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit gewährleiste, habe sich "in der Realität gezeigt, dass diese Rechte für die Bürger Chinas eindeutig eingeschränkt" seien.

Mit der Vergabe hat das Nobelpreiskomitee Pekings diplomatischem Druck standgehalten. Gleich zwei chinesische Spitzenpolitiker waren in den vergangenen Monaten mit scharfen Warnungen nach Oslo gereist. Am Freitagabend kommentierte Chinas Außenministerium knapp, die Entscheidung "könnte den chinesisch-norwegischen Beziehungen schaden".

Es war der einzige Kommentar, den Chinas Regierung zu dem Thema übrig hatte. Dabei traf die Ehrung Pekings Propaganda-Apparat nicht unvorbereitet. Schon Stunden vor der Bekanntgabe nahmen Suchmaschinen das chinesische Wort für Nobel nicht mehr an. Kaum war Liu gekürt, mussten alle Webportale ihre gesamte Berichterstattung zu allen Nobelpreisen löschen. Auch Mobilfunkdienste blockierten Handy-Nachrichten mit dem Namen des Dissidenten. Doch die Internetbenutzer behalfen sich mit einem Codenamen: Unter der Bezeichnung "Dynamitpreis" verbreitete sich die Meldung.

"Für alle Dissidenten"

Die Regierung steht vor einem Dilemma: Wenn sie das Thema wie bisher weiter totschweigt, überlässt sie das Feld den Liu-Fans im Internet - und die werden ihre Wege finden, die Nachricht auch an der offiziellen Zensurmaschine vorbei zu verbreiten. Geht die Partei jedoch in die Offensive und greift das Nobelpreiskomitee öffentlich an, weist sie die Menschen selbst auf ein Thema hin, von dem sie bisher nichts wussten. Denn für viele Chinesen ist Liu Xiaobo ein Unbekannter.

"Ich glaube, Pekings Gerichte hätten es nie für möglich gehalten, dass ein von ihnen Verurteilter den Friedensnobelpreis gewinnen würde", schrieb am Freitag der Anwalt Liu Xiaoyuan. "Der Fall wird einmal ein Klassiker in der chinesischen Justizgeschichte werden." Liu Xiaobos Frau Liu Xia erklärte: "Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass er den Nobelpreis gewinnen würde." Sie habe sich nur Worte für den Fall zurechtgelegt, dass ihr Mann nicht gewinnen werde. "Dieser Preis ist für alle Dissidenten, die wie er noch im Gefängnis sitzen", sagte sie. "Morgen werde ich ihn treffen und ihm das als erstes sagen und ihn fest umarmen."

Auf einen Blick

Der Friedensnobelpreis gilt als bedeutendste internationale Auszeichnung im Bemühen um eine friedlichere Welt. Stifter des Preises ist der schwedische Erfinder des Dynamits, Alfred Nobel (1833-1896). In seinem Testament beauftragte er das norwegische Parlament jährlich bis zu drei Personen oder Organisationen für ihre Verdienste auszuzeichnen.

Die Preisträger werden im Oktober bekanntgegeben. Bei der Verleihung am Todestag Nobels am 10. Dezember erhalten sie in Oslo eine Medaille, eine Urkunde und ein Preisgeld in Höhe von zehn Millionen Schwedischen Kronen (mehr als eine Million Euro). dpa

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