Weiterhin verschollen Interpol-Chef tritt nach rätselhaftem Verschwinden zurück

Peking · Zwei Wochen lang galt Meng Hongwei als vermisst. Jetzt weiß die Internationale Polizeiorganisation immerhin, dass sie einen neuen Präsidenten braucht.

 Interpol-Chef Meng wird seit Ende September vermisst.

Interpol-Chef Meng wird seit Ende September vermisst.

Foto: dpa/Wong Maye-E

Die internationale Polizeibehörde Interpol hat gestern am späten Abend den Rücktritt ihres seit Tagen vermissten Präsidenten Meng Hongwei bekannt gegeben. Es sei eine Rücktrittserklärung Mengs mit „sofortiger Wirkung“ eingegangen, teilte Interpol in Lyon mit. Das Amt übernehme geschäftsführend Vizepräsident Kim Jong Yang aus Südkorea.

Zuvor hatte China bekannt gegeben, gegen Meng zu ermitteln. Der Leiter der größten Polizeiorganisation der Welt wird seit einer Reise nach China Ende September vermisst. Erst gestern Abend kam etwas Licht ins Dunkel: Nachdem sich China zwei Wochen lang in Schweigen gehüllt hatte, teilte die chinesische Behörde für Korruptionsbekämpfung mit, sie habe Ermittlungen gegen Meng wegen des „Verdachts auf Gesetzesverstöße“ aufgenommen. Er werde überwacht. Was ihm genau vorgeworfen wird, blieb unklar. Auch über seinen Verbleib gaben die chinesischen Behörden zunächst nichts bekannt. Zuvor hatte Interpol von China eine Erklärung für das Verschwinden ihres Chefs gefordert.

Meng, der seit November 2016 das Amt innehat, war am 25. September während einer Reise in sein Heimatland China verschwunden. Seine Frau Grace Meng sagte, ihr Mann habe ihr während seiner Reise ein Bild mit einem Messer geschickt. Damit habe er ihr zu zeigen versucht, dass er sich in Gefahr befinde. Seit dieser Nachricht habe sie keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. Sie wisse noch immer nicht, was mit ihm geschehen sei.

Laut Medienberichten ist Meng auf seiner Reise von Beamten der Disiziplinarkommission der Kommunistischen Partei abgeführt worden. Die Kommission steht über der Polizei und ist vor allem für ideologische Vergehen von Parteimitgliedern zuständig. Bevor Meng Interpol-Chef wurde, war er stellvertretender Minister für Öffentliche Sicherheit. Er war für seine besondere Härte gegen Regimekritiker und Arbeitsrechtler bekannt. Er ließ auch Frauenrechtlerinnen und LGBT-Aktivisten überwachen und einsperren. Meng gehörte seinerzeit zu den mächtigsten Männern Chinas.

Doch die Disziplinarkommission ist noch mächtiger – und Meng gehört zum politischen Lager eines gefallenen Genossen, der sich einst gegen Präsident Xi Jinping gestellt hatte. Die Ermittler, so heißt es, finden in so einem Fall immer etwas. Seit Parteichef Xi 2013 eine Kampagne gegen Korruption in den eigenen Reihen begonnen hat, sind der Kommission 1,4 Millionen Kader ins Netz gegangen.

China hatte Meng 2016 als Interpol-Chef durchgedrückt. Damals verband sich mit der Personalie die Befürchtung, autoritäre Regime könnten Interpol zunehmend nutzen, um weltweit Jagd auf Kritiker zu machen. Interpol koordiniert die Zusammenarbeit der Polizeibehörden der teilnehmenden Länder. Eine wichtige Funktion ist die Prüfung und Weiterleitung von Haftbefehlen gegen Personen, die sich ins Ausland abgesetzt haben. 

Mengs Schicksal ist kein Einzelfall: In China ist offensichtlich niemand mehr davor sicher, von den Behörden verschleppt zu werden. Das heutige China hat zwar den Anspruch, rechtsstaatliche Standards anzuwenden. Doch in der Praxis verschwinden nicht nur Parteimitglieder immer wieder spurlos. Auch Steuerfahnder und Polizei nehmen laufend Bürger in Gewahrsam, ohne dass Anwälte oder Angehörige auch nur davon erfahren, welche Behörde beteiligt war. Der Juraprofessor Teng Biao spricht von „systematischer Tyrannei“. Teng lebt heute in Amerika im Exil und wurde bereits selbst verhaftet und gefoltert. „Überwachter Arrest an einem bestimmten Ort“, nennt sich die Praxis der heimlichen Verhaftung und Isolation. „Eine krasse Beschönigung.“

Besonders schlimm trifft es Menschenrechtsaktivisten und ihre Anwälte. Der Anwalt Wang Quangzhang ist seit 2015 verschollen. Seine Frau, Li Wenzu, hat im Juli 2018 das erste Mal wieder etwas von ihm gehört: Ein befreundeter Anwalt glaubt, ihn in einem Gefängnis in Tianjin erkannt zu haben. Und die Behörden hüllen sich weiterhin in Schweigen.

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