China kippt die strenge Ein-Kind-Politik

Es ist ein Wort, das aufhorchen lässt, ein Wort, das verwundert. „Abschaffen“ steht da, unter Punkt 34.

Hinweg mit den Umerziehungslagern in China. Das sagen keine Demonstranten. Das sagt der Staat, der die menschenverachtenden Anstalten, in denen Männer, Frauen, auch Jugendliche ohne Gerichtsurteil bis zu vier Jahre festgehalten werden können, in den 1950er Jahren selbst erschaffen hatte. Es ist die Überraschung dieses Papiers, das die Kommunistische Partei nach ihrer viertägigen geheimen Sitzung und drei Tagen Abwartens per amtlicher Nachrichtenagentur verbreiten lässt. Und in dem Reformpläne für die kommenden zehn Jahre vorgelegt werden.

Das Dokument fasst in 60 Punkten, durchaus ideologisch durchtränkt, Wunsch-Umgestaltungen in Wirtschaft, Politik und Kultur zusammen. Die KP setzt auf Lockerungen. In der Ein-Kind-Politik genauso wie auf dem Finanzmarkt. Ehepaare, so steht es fast schon unauffällig am Ende des Papiers, dürfen in der Zukunft zwei Kinder haben, wenn Vater oder Mutter Einzelkinder sind. Bislang war es lediglich Elternteilen, die beide Einzelkinder waren, sowie Bauern, die als erstes Kind ein Mädchen bekamen, und ethnischen Minderheiten gestattet, mehr als nur ein Kind zu bekommen.

Seit die Partei die Ein- Kind-Politik Ende der 1970er Jahre auf den Weg gebracht hatte, konnte sie zwar den hohen Bevölkerungsanstieg eindämmen, doch leidet das Land immer mehr an seinem enormen Männerüberschuss. Statistiker haben ausgerechnet, dass bis 2020 voraussichtlich 24 Millionen Männer ohne Frauen bleiben werden. Das führe zu Frauenhandel und Sexualverbrechen. Vor allem in den Grenzgebieten. Wann der Plan allerdings umgesetzt wird, steht nicht explizit im Papier. Auf Zeitpunkte geht das Dokument ohnehin nicht ein. Wie erwartet erwähnt das Kommuniqué die Be schleunigung der Zinsreform und die Einführung der Einlagensicherung. Zudem sollen mehr Freihandelszonen - auch nach dem Vorbild von Shanghai, die kürzlich startete - entstehen. Das solle nach und nach zur Freigabe der chinesischen Währung führen.

Dem Markt wird eine größere Rolle zugedacht - nicht ohne zu betonen, dem Staat einen "angemessenen Handlungsspielraum" zu lassen. Das Zusammenspiel zwischen Staats- und Privatunternehmen ist ebenfalls Interpretationen überlassen. Zum einen soll Privateigentum gestärkt, gar gefördert werden, schon allein, um höhere Steuereinnahmen zu erzielen. Zum anderen aber behielten die Staatsunternehmen ihre "führende Rolle". Die Partei schreibt von fairem Wettbewerb, gleichberechtigtem Austausch und gesunder Entwicklung. Sie wolle das Vertrauen in die Institutionen wiederherstellen.

Kein einziges Mal fällt das Wort "Wachstum". China hat erkannt, dass es sich von seiner lediglich auf Exporte konzentrierten Wirtschaft abwenden muss. Steuer-, Justiz- und Bildungsreformen werden genauso erwähnt wie gesteigerte Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz. "Der Staat respektiert und schützt die Menschenrechte", schreibt die Partei. Die Todesstrafe wolle sie "schrittweise verringern". Es ist die Fortsetzung bereits angefangener Änderungen.

Auch in anderen Bereichen liefert das ZK-Papier keine vollkommen neuen Regelungen. Bauern sollen mehr Eigentumsrechte zugestanden werden, allerdings nur im Kollektiv. "Qualifizierter Landbevölkerung" soll die Möglichkeit gegeben werden, sich in Städten anzusiedeln. Aber nur in kleinen und mittleren - streng kontrolliert von der Partei. Denn von ihrer Führungsrolle rückt die KP, trotz einiger Lockerungen, nicht ab. "Auch bei der Wachablösung werden wir uns nicht in die Irre führen lassen und weiter fest den Weg des Sozialismus chinesischer Prägung gehen", heißt es.

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HintergrundChinas Ein-Kind-Politik ist wegen diverser Ungerech tigkeiten schon lange höchst umstritten. Sie wurde 1979 eingeführt, um eine Bevölkerungsexplosion zu verhindern. Das wachsende Riesenvolk musste ernährt, die knappen Ressourcen geschützt werden. Bis heute verringerte die strikte Familienpolitik die chinesische Bevölkerung um schätzungsweise 300 Millionen Menschen. Zuletzt wurde die Familienpolitik schon zunehmend gelockert. So können etwa Paare, bei denen beide Partner selbst Einzelkinder waren, ein zweites Kind bekommen. Als Folge der Ein-Kind-Politik gibt es heute einen starken Männerüberschuss. Zwar sind Ultraschalluntersuchungen nicht erlaubt, aber trotzdem werden Mädchen häufig abgetrieben, weil Jungen bevorzugt werden. Viele Männer finden heute daher keine Frau mehr. dpa

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