Chaos-Szenario vor der EM

Paris · Die EM in Frankreich könnte kaum unter schlechteren Voraussetzungen stehen. Zur Angst vor Anschlägen sind Gewerkschaftsproteste gekommen, die während des Turniers weitergehen sollen.

"Wo ist der Ausgang?" fragen die französischen Zeitungen fast unisono in diesen Tagen. Gesucht wird eine Lösung für den Konflikt um die Reform des Arbeitsrechts, in dem sich Regierung und die Gewerkschaften am linken Rand unnachgiebig gegenüberstehen. Die Zeit drängt, denn in zwei Wochen beginnt die Fußball-EM, die eigentlich ein "Volksfest" werden sollte. Doch davon ist das Land weit entfernt. Denn die Mischung aus Protesten und Terrorgefahr, die Frankreich derzeit beherrscht, lässt das Sportereignis in den Hintergrund rücken. Stattdessen machen Bilder von Autoschlangen vor Tankstellen, blockierten Raffinerien und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei die Runde. Bilder, die auch die Touristen von Frankreich fernhalten. Schon jetzt spüren die Hotels die Konsequenzen des Protests: Um 20 Prozent seit der Umsatz bereits zurückgegangen, berichtete der Vorsitzende der Hotel- und Gaststättengewerkschaft, Didier Chenet, im Fernsehen. Sportminister Patrick Kanner forderte die Gewerkschaft CGT, die hinter den Protesten steht, deshalb auf, Frankreich nicht "in Geiselhaft" zu nehmen.

Doch die den Kommunisten nahestehende CGT sieht im Falle einer Blockade während der EM die Verantwortung nicht bei sich: "Der Ball ist im Regierungslager", betonte Gewerkschaftschef Philippe Martinez. Er forderte die Rücknahme des Arbeitsgesetzes, gegen das seit März nicht nur Gewerkschaften , sondern auch Schüler und Studenten protestieren. Am 14. Juni, vier Tage nach Eröffnung der EM, ist die nächste Großdemonstration geplant. Doch Präsident François Hollande bleibt hart. Er erwartet von dem Projekt einen Impuls für den Arbeitsmarkt, auf dem trotz einer leichten Besserung immer noch 3,5 Millionen Menschen arbeitslos sind.

Doch die Reform, die den Unternehmen mehr Spielraum gibt, ist ein langfristiges Mittel für die angeschlagene Wirtschaft. Kurzfristig kann dagegen schon die EM helfen: Die OECD rechnet mit Einnahmen von 1,2 Milliarden Euro und 16 000 Arbeitsplätzen durch das Turnier. "Wenn internationale Ereignisse gut aufgenommen werden, sind sie ein Katalysator für die Entwicklung", erklärte die Organisation.

Nach den Anschlägen im November, die sich auch gegen das Stade de France richteten, hatte die Regierung schnell klar gemacht, dass die EM trotzdem stattfindet. Diese Woche enthüllte Innenminister Bernard Cazeneuve die Sicherheitsmaßnahmen: 77 000 Polizisten und 13 000 private Sicherheitsleute sollen über das Turnier wachen. Cazeneuve sieht aber gleich eine doppelte Gefahr - durch Terroristen und Hooligans.

Was die anrichten können, hatte sich beim Pokalfinale zwischen Paris Saint-Germain und Olympique Marseille gezeigt. Da stauten sich vor dem Stade de France hunderte Fans vor den vier Eingängen. Im Chaos, das dadurch entstand, brachten die Anhänger von Marseille Glasflaschen, Rauchbomben und Rohre ins Stadion. Die Generalprobe für die EM ging also gründlich schief.

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