Ceta-Schock schlägt Wellen in Berlin

Berlin · Während sich die belgischen Regionalregierungen gestern noch in einer neuerlichen Krisensitzung berieten, debattierte das Europäische Parlament in Straßburg bereits über die Konsequenzen aus der Ceta-Krise.

Eine einzige Mini-Region, die Wallonie in Belgien, blockiert für die ganze EU ein wichtiges Handelsabkommen, den Ceta-Vertrag mit Kanada. "27 sagen Ja, einer Nein und der ganze Zug steht still", schilderte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD ) die Lage. "So kann Europa nicht funktionieren." Auch SPD-Generalsekretärin Katarina Barley befand, es könne nicht die Zukunft der EU sein, "dass die Handlungsfähigkeit von innerstaatlichen Auseinandersetzungen eines Mitgliedslandes abhängt".

Freilich klingen diese Stimmen ein bisschen wie "Haltet den Dieb". Denn die Sozialdemokraten hatten sich ganz besonders dafür stark gemacht, Ceta zum "gemischten Abkommen" zu erklären, dem nicht nur EU-Kommission und EU-Parlament zustimmen müssen, sondern auch alle nationalen Parlamente. Allen voran Sigmar Gabriel . "Unglaublich töricht" nannte er im Sommer den Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker, Ceta als reine Angelegenheit der europäischen Ebenen zu betrachten und darüber nur das Europaparlament abstimmen zu lassen. Der Vizekanzler forderte nicht nur die Zustimmung des Bundestages und aller Nationalparlamente, sondern auch des Bundesrates, also auch der Bundesländer - wie in Belgien.

Jetzt bekommt Gabriel die Quittung für seine Position. EU-Kommissar Günter Oettinger (CDU ) fragte den SPD-Chef bereits sarkastisch: "Wollen wir noch den Kirchengemeinderat von Biberach befragen?" Und der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff kritisierte, es machte "alles kaputt", wenn die EU die gemeinsame Handelspolitik wieder zurückgebe an zahlreiche nationale und regionale Parlamente. Das sei "von dieser Bundesregierung aktiv betrieben worden", besonders von der SPD , die von links unter Druck stehe. Auch Schulz wurde gestern aus der Union angegriffen: "Da macht sich einer zum Feuerwehrmann, der vorher den Brand gelegt hat", sagte Herbert Reul , Vorsitzender der CDU /CSU-Gruppe im EU-Parlament. Reul verwies darauf, dass Schulz im Sommer Gabriels Position unterstützt hatte.

Allerdings hat sich auch die Union in Sachen Kanada-Abkommen nicht mit Ruhm bekleckert. So war CSU-Chef Horst Seehofer neben Gabriel derjenige Politiker, der am lautesten eine Mitsprache der National- und Regionalparlamente verlangte. Gestern hielt das seinen Parteikollegen, EVP-Fraktionschef Manfred Weber , jedoch nicht davon ab zu fordern, dass künftig nur das EU-Parlament über Verträge Europas mit Drittstaaten entscheiden solle. Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) hatte sich im Sommer nicht positioniert, sondern wie gewohnt abgewartet - bis die EU-Kommission nach dem Brexit einschwenkte und auch ihrerseits Ceta als gemischtes Abkommen einstufte. Juncker hätte sich damals besser "auf die Hinterbeine" stellen sollen, sagte gestern Gunther Krichbaum (CDU ) der SZ. Aus guten Gründen habe man die Handelspolitik auf eine europäische Ebene gehoben. Das werde jetzt durch Nationalstaaterei konterkariert. Krichbaum: "Wir alle müssen aus solchen Erfahrungen lernen".

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