Cem Özdemir „Es bewegt sich einfach zu wenig“

Berlin · Der Ex-Grünen-Vorsitzende kritisiert die Groko und liebäugelt mit Schwarz-Grün. Eine Zweierkonstellation sei leichter zu händeln als ein Jamaika-Bündnis.

 Cem Özdemir war von 2008 bis Anfang 2018 Bundesvorsitzender  der Grünen.

Cem Özdemir war von 2008 bis Anfang 2018 Bundesvorsitzender der Grünen.

Foto: dpa/Christoph Schmidt

Heute vor einem Jahr wurde die Neuauflage der großen Koalition besiegelt. Schwarz-Rot galt als Notlösung, weil die Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen geplatzt waren. Wäre dieses Bündnis besser für Deutschland gewesen? Darüber sprach unsere Zeitung mit dem Ex-Parteichef der Grünen, Cem Özdemir, der bei den Sondierungen zu Jamaika mit am Tisch saß.

Herr Özdemir, trauern Sie der gescheiterten Regierungsbeteiligung Ihrer Partei heute noch nach?

ÖZDEMIR An uns ist Jamaika nicht gescheitert. Einer hat das „verlindnert“. Aber das ist Geschichte. Unsere Rolle ist aktuell die Opposition. Die Große Koalition allerdings ist aus der Not geboren, und das merkt man ihr leider auch an.

Soll heißen?

ÖZDEMIR Es bewegt sich einfach zu wenig. Nehmen Sie den Klimaschutz: Es ist zwar gut, dass die Kohlekommission endlich ein Ergebnis vorgelegt hat. Angesichts des Streits über das Klimaschutzgesetz in der Großen Koalition muss man sich allerdings große Sorgen über die Umsetzung dieser Ergebnisse machen. Ansonsten ist Schwarz-Rot vornehmlich damit beschäftigt, sich gegeneinander zu profilieren.

Rechnen sie mit einem vorzeitigen Bruch der Groko?

ÖZDEMIR Das ist Spekulation, darauf würde ich keine Wette annehmen. Aber wir leben in turbulenten Zeiten. Da kann auch schon mal ein Juso-Vorsitzender eine solche Koalition ins Wanken bringen.

Wie würden sich die Grünen verhalten, sollte Kanzlerin Merkel ihr Amt vorzeitig aufgeben?

ÖZDEMIR Darüber entscheidet unser Bundesvorstand. Aber für uns ist klar: Wir stellen das Parteiwohl nicht vor das Landeswohl. Das haben wir auch schon bei den Jamaika-Verhandlungen bewiesen. Wir sind nicht die, die weglaufen, wenn es ernst wird. Weder im Bund, noch in den Ländern.

Das heißt, einen fliegender Wechsel der Grünen in eine Jamaika-Koalition ist nicht ausgeschlossen?

ÖZDEMIR Schwierig. Gerade wenn ich mir manch populistisches Wettern bei der FDP gegen die EU oder jüngst gegen die demonstrierenden Schüler ansehe. Es wird mit uns Grünen jedenfalls kein „Weiter so“ geben.

Wäre Ihnen Schwarz-Grün lieber als „Jamaika“?

ÖZDEMIR Schwarz-Grün ist rechnerisch aktuell möglich. Und eine Zweierkonstellation ist ja auch deutlich leichter zu händeln als eine Dreierkonstellation. Das ist privat genauso wie in der Politik. Es gibt jedoch kein schwarz-grünes Projekt, entscheidend sind die Inhalte.

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