Castor-Proteste in einer neuen Dimension

Gorleben. Mitten im Wald treffen sie aufeinander: "Hau drauf", ruft ein Polizist seinem Kollegen zu, der mit einem Schlagstock auf die Castor-Demonstranten zurennt. Mehrere tausend Atomkraftgegner sind an diesem Morgen in einem Wald beim niedersächsischen Leitstade unterwegs, durch den der Castor-Transport mit hoch radioaktivem Atommüll rollen soll

 Einsatzkräfte der Polizei sehen sich in einem Wald bei Leitstade einer großen Menge von Castor-Gegnern gegenüber. Nach einem friedlichen Auftakt der Proteste am Samstag eskalierte die Situation gestern. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten. Foto: dpa

Einsatzkräfte der Polizei sehen sich in einem Wald bei Leitstade einer großen Menge von Castor-Gegnern gegenüber. Nach einem friedlichen Auftakt der Proteste am Samstag eskalierte die Situation gestern. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten. Foto: dpa

Gorleben. Mitten im Wald treffen sie aufeinander: "Hau drauf", ruft ein Polizist seinem Kollegen zu, der mit einem Schlagstock auf die Castor-Demonstranten zurennt. Mehrere tausend Atomkraftgegner sind an diesem Morgen in einem Wald beim niedersächsischen Leitstade unterwegs, durch den der Castor-Transport mit hoch radioaktivem Atommüll rollen soll. Immer wieder versuchen die Demonstranten, zu den Schienen zu gelangen, um Steine aus dem Gleisbett zu entfernen. "Schottern" nennen sie ihre strafbare Aktion. Die Polizei drängt die Protestler entschlossen zurück, Schlagstock und Pfefferspray kommen zum Einsatz. Wenige Stunden, bevor der Zug mit dem Atommüll im Wendland ankommt, nehmen die Proteste rund um Gorleben an Schärfe zu.

Am Tag zuvor blieb der Protest dagegen noch weitgehend friedlich: Rund 50 000 Atomkraftgegner versammelten sich am Samstag nach Angaben der Veranstalter zur größten Anti-Castor-Demo, die es je im Wendland gegeben hat. Über den Köpfen der Demonstranten bewegte sich ein Meer von grünen und gelben Fahnen, auf denen die Worte "Atomkraft - Nein, Danke" zu lesen waren. Die Stimmung war trotz des konfliktträchtigen Anlasses gut - Musik schallte über die Fläche, Menschen tanzten, Kinder spielten auf dem Boden.

In Berg in der Pfalz demonstrieren über tausend Menschen nahe der deutsch-französischen Grenze. Über Stunden halten sie die Gleise besetzt - eine mögliche Route des Transports. Die Castoren schlagen schließlich eine andere Route ein und fahren über Kehl. Bei aller Vehemenz bleiben jedoch auch hier die Proteste friedlich.

Im Wendland wandelt sich jedoch am Sonntag das Bild der friedlichen Großdemo. Es kracht: Bei Leitstade nahe Hitzacker kommt es zu teils heftigen Auseinandersetzungen mit Polizisten. Einige der Demonstranten provozieren die Beamten und werfen mit Stöcken und Strohsäcken auf sie. Die Polizei reagiert im Laufe des Vormittags zunehmend aggressiver. Mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfer drängen sie die Aktivisten in den Wald, eine Reiterstaffel setzt nach. Am Rande der Krawalle sitzt ein junger Mann mit einer blutenden Kopfwunde, er hat einen Schlagstock abbekommen.

Eine Gruppe von Journalisten ist in diesem Moment hautnah bei den Aktionen dabei - die Demonstranten erhoffen sich von der Öffentlichkeit einen gewissen Respekt der Polizei. "Ihr seid unser Schutzschild", sagen die Sprecher der Kampagne "Castor-Schottern". So ganz geht deren Sicherheitskonzept nicht auf: Im Gerangel mit den Beamten kommt es zu Verletzten. Nach mehreren Versuchen, auf die Schienen zu gelangen, ziehen sich die "Castor-Schotterer" in den Schutz des Waldes zurück. Das Zentrum des Protestes verlagert sich jetzt zu einer Sitzblockade auf den Gleisen bei Harlingen - und auf der Straße zum Zwischenlager Gorleben harren mehr als 1200 Menschen aus. Die Polizei beobachtet hier den Protest, greift aber zunächst nicht ein.

Am Rande der Schienen-Blockade bei Harlingen kommt es am frühen Nachmittag allerdings zu einem schweren Unfall: Als eine Frau den Halt verliert und die Böschung hinunterrutscht, gerät sie mitten in eine vorbeireitende Polizeistaffel und wird von einem Pferd schwer verletzt. Ein Hubschrauber bringt sie mit mehreren Knochenbrüchen in eine Klinik. Wie viele Demonstranten und Sicherheitskräfte in der heißen Protestphase insgesamt verletzt werden, kann die Polizei da noch nicht sagen.

 Clownsnase hin oder her: Spätestens gestern wurden die Castor-Proteste für Aktivisten und Polizisten bitterer Ernst. Foto: dpa

Clownsnase hin oder her: Spätestens gestern wurden die Castor-Proteste für Aktivisten und Polizisten bitterer Ernst. Foto: dpa

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