Brüssel legt die Rating-Agenturen an die Leine
Brüssel/Straßburg. Die EU-Kommission holt zum Schlag gegen die Macht der Rating-Agenturen aus. Künftig sollen die Bewertungen der Bonitätsprüfer nicht mehr ohne amtliche Gegenprüfung verbreitet werden. Betroffene Regierungen müssen 24 Stunden vorher offiziell informiert werden
Brüssel/Straßburg. Die EU-Kommission holt zum Schlag gegen die Macht der Rating-Agenturen aus. Künftig sollen die Bewertungen der Bonitätsprüfer nicht mehr ohne amtliche Gegenprüfung verbreitet werden. Betroffene Regierungen müssen 24 Stunden vorher offiziell informiert werden. Und außerdem will Brüssel die Banken zwingen, bei ihren Risiko-Analysen nicht mehr nur auf externe Rating-Agenturen zu bauen. "Wir wollen die Abhängigkeit von diesen Agenturen deutlich reduzieren", sagte gestern Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier in Straßburg. Es gehe bei den Maßnahmen, die nun noch vom Ministerrat und dem Europäischen Parlament behandelt werden müssen, nicht darum, den "Nachrichtenüberbringer zu ermorden", erklärte der französische Kommissar. Aber es dürfe "nie wieder zu einem vergleichbar schweren Fehler wie am vergangenen Freitag kommen".An diesem Tag hatte die Rating-Agentur Standard & Poor's - nach eigenen Angaben irrtümlich - eine Abwertung Frankreichs an wichtige Finanzmarkt-Akteure verbreitet und diese auch erst Stunden später wieder zurückgezogen.
Der Katalog der Kommission greift tief in die bisherige Unabhängigkeit der privat agierenden Agenturen ein. Künftig sollen Bewertungen alle sechs Monate erfolgen (bisher alle zwölf), um auch kurzfristige Verbesserungen der Finanzsituation eines Staates darzustellen. Außerdem darf nicht länger nur die Auf- oder Abwertung publiziert werden. Brüssel fordert, dass vielmehr auch die Hintergrund-Papiere, die zu dieser Benotung geführt haben, für die Öffentlichkeit einsehbar sind. Gleichzeitig wird die Europäische Bankenaufsicht ESMA in Paris beauftragt, die Methodik der Arbeit unter die Lupe zu nehmen, um festzustellen, nach welchen Kriterien die Prüfer arbeiten. Sollte sich eine Abwertung als allzu leichtfertig herausstellen, muss die betreffende Agentur mit Schadensersatz-Forderungen rechnen.
Besonders umstritten ist aber der Maulkorb für die Rating-Agenturen, den Barnier bei seinem ersten Vorschlag im Juli noch gefordert hatte. Vor allem seine beiden Kollegen Joaquin Almunia (Wettbewerb) und Karle de Gucht (Handel) sprachen sich jetzt gegen ein Redeverbot aus. Barnier hält jedoch daran fest, den Bonitätsprüfern zumindest Bewertungen zu Staaten, die unter dem Rettungsschirm stehen, zeitweise zu untersagen. Ob diese Forderung am Ende durchzuhalten ist, bleibt offen.
"Die Noten der Agenturen dürfen das ohnehin vorhandene Fieber nicht noch hochtreiben", begründete der Franzose gestern seinen Vorstoß. Offen ist auch, ob Europa weiter an die Idee festhält, den Einfluss der US-amerikanisch dominierten Rating-Agenturen durch EU-Konkurrenz zu brechen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach sich gestern dagegen aus, eine solche europäische Rating-Agentur zu gründen. Dagegen forderte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Martin Schulz, Europa solle eine eigene Bonitätsbewertung einführen.
Das Europäische Parlament in Straßburg unternahm gestern einen ersten Schritt gegen die Spekulanten am Finanzmarkt. Ungedeckte Leerverkäufe und der Handel mit ungedeckten Kreditversicherungen (CDS) werden von November 2012 an verboten. Diese hoch spekulativen Finanzgeschäfte, bei denen Händler von fallenden Kursen profitieren, ohne Kredite zu geben, gelten als die eigentlichen Brandbeschleuniger der Schuldenkrise.Foto: Hoslet/dpa
"Die Noten der Agenturen dürfen
das Fieber
nicht noch hochtreiben."
Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Michel Barnier