Brüssel im Schockzustand

Brüssel. Am Tag nach der Wahl in Italien verharrt Brüssel wie im Schockzustand. Je länger die Wahlnacht dauerte und je mehr sich abzeichnete, dass die Mehrheitsverhältnisse in Rom praktisch zur Unregierbarkeit des Landes führen könnten, je größer wurde die Angst vor möglichen Auswirkungen auf den Euro

EU-Parlamentspräsident Schulz wertet den Wahlausgang in Italien als Appell an die EU. Foto:Seeger/dpa

EU-Parlamentspräsident Schulz wertet den Wahlausgang in Italien als Appell an die EU. Foto:Seeger/dpa

Brüssel. Am Tag nach der Wahl in Italien verharrt Brüssel wie im Schockzustand. Je länger die Wahlnacht dauerte und je mehr sich abzeichnete, dass die Mehrheitsverhältnisse in Rom praktisch zur Unregierbarkeit des Landes führen könnten, je größer wurde die Angst vor möglichen Auswirkungen auf den Euro. Weder Ratspräsident Herman Van Rompuy noch Kommissionschef José Manuel Barroso gingen mit Statements an die Öffentlichkeit und unterstrichen damit umso mehr die ohnmächtige Sprachlosigkeit angesichts der Vorgänge in Rom. "Wir haben volles Vertrauen in die italienische Demokratie", ließ Barroso lediglich durch einen Sprecher erklären. Parlamentspräsident Martin Schulz interpretierte den Wahlausgang als Appell an die EU, sich von einer "einseitigen Kürzungspolitik" zu verabschieden. "Wir brauchen eine Kombination aus nachhaltiger Haushaltsdisziplin und Investitionspolitik, die Arbeit schafft, gleichzeitig."

Doch solche Diagnosen wirkten gestern etwas hilflos. Weltweit reagierten die Finanzmärkte mit teilweise dramatischen Ausschlägen - nach unten. Die Zinsen auf italienische Staatsanleihen kletterten dagegen auf rekordverdächtige Höhen. Es ist genau das, was die EU-Spitzen so beunruhigt: Denn was Italien passiert, betrifft die gesamte Euro-Zone. Höhere Risikozuschläge für römische Papiere ziehen höhere Zinsen für die Anleihen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nach sich, dessen verfügbares Kapital dadurch weniger wird.

Die Angst geht sogar noch weiter und könnte auch Deutschland sehr unmittelbar berühren: Falls Italiens finanzielle Probleme wachsen und das Land seinen Anteil von rund 18 Prozent am ESM nicht tragen kann, müssten die übrigen 16 Euro-Staaten einspringen. Und das heißt nicht weniger, als dass rund 125 Milliarden Euro (Bareinlagen plus Bürgschaften) von den anderen mitgetragen werden. Deutschland wäre erneut mit gut 27 Prozent dabei. "Wir wollen nicht wieder mit der Angst um ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone konfrontiert werden", bat ein Analyst fast schon flehentlich in Brüssel.

EU-Parlamentspräsident Schulz wertet den Wahlausgang in Italien als Appell an die EU. Foto:Seeger/dpa

EU-Parlamentspräsident Schulz wertet den Wahlausgang in Italien als Appell an die EU. Foto:Seeger/dpa

Doch genau dieses Szenario liegt auf dem Tisch. Immerhin konnten die europakritischen Kräfte der Konservativen unter Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi und die bunte Schar des Komikers Beppe Grillo mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen. Auf beide haben die übrigen EU-Staaten nahezu keinen Einfluss. Grillo hatte niemand auf der Rechnung, Berlusconi ist innerhalb der konservativen EVP-Familie weitgehend isoliert. Die europäischen Sozialdemokraten haben den mutmaßlichen neuen Premier Pier Luigi Bersani zwar längst in ihre Arme geschlossen. "Aber der ist ja machtlos", sagte ein hochrangiges SPE-Mitglied. Die Angst um die Gemeinschaftswährung spiegelte sich auch in deren Tageswert wieder. Zum ersten Mal seit sieben Wochen lag ihr Kurs zum Dollar wieder unter 1,31. "Jeder hat gedacht, das Schlimmste in Europa ist vorbei", sagte ein Börsianer. "Aber offenbar kommen in Italien neue Probleme auf uns zu." Zumindest gestern gab es in Brüssel niemanden, der eine Vorstellung von einer Lösung hatte. Der Schlüssel liegt für die Zukunft des Euro derzeit in Rom. dr

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Italien nach der WahlDie politischen Gegner in Italien neutralisieren sich gegenseitig. Populisten stürmten bei der Wahl das Parlament, und Berlusconi feierte einen unerwarteten Erfolg. Von stabilen Verhältnissen kann keine Rede sein. Das sorgt für Unruhe
Italien nach der WahlDie politischen Gegner in Italien neutralisieren sich gegenseitig. Populisten stürmten bei der Wahl das Parlament, und Berlusconi feierte einen unerwarteten Erfolg. Von stabilen Verhältnissen kann keine Rede sein. Das sorgt für Unruhe