Brüssel besteht auf Vorratsdatenspeicherung

Brüssel. So ein Durcheinander hat die EU-Kommission selten abgeliefert: Einerseits soll Deutschland nun die umstrittenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Andererseits hält man die eigenen Brüsseler Vorgaben für reformbedürftig, heißt es in einem Zwischenbericht der EU-Kommission zur umstrittenen Lauschpraxis der Behörden, der gestern vorgestellt wurde

Brüssel. So ein Durcheinander hat die EU-Kommission selten abgeliefert: Einerseits soll Deutschland nun die umstrittenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Andererseits hält man die eigenen Brüsseler Vorgaben für reformbedürftig, heißt es in einem Zwischenbericht der EU-Kommission zur umstrittenen Lauschpraxis der Behörden, der gestern vorgestellt wurde. Anders als bisher soll künftig "nur wenn notwendig und so lange wie notwendig gespeichert werden", wer wann mit wem telefoniert, Kurz-Nachrichten ausgetauscht oder Internet-Seiten geöffnet hat, sagte die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström.Derzeit seien die Regelungen innerhalb der Gemeinschaft völlig unterschiedlich. So griffen die Behörden in Zypern 2008 und 2009 nur 100 Mal auf die Daten zurück, in Polen wurden mehr als eine Million Zugriffe gezählt. Insgesamt waren es 3,4 Millionen Abrufe von persönlichen Daten. Zudem ist unklar, wer überhaupt befugt ist, diese Angaben zu nutzen. 14 EU-Staaten zählen auch Geheimdienste und Militär dazu.

Der innerdeutsche Streit um das Abfangen der Kommunikationsdaten wird durch das Papier der Kommission nicht leichter. Rückenwind bekommt wohl vor allem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der seit langem für eine Neuregelung des Gesetzes plädiert, das das Bundesverfassungsgericht 2010 kippte. Die Karlsruher Richter hatten vor allem die mangelnde Transparenz der Datenspeicherung gerügt. Niemand wisse genau, wofür die Daten gebraucht würden. Außerdem handele es sich bei der Erhebung der Informationen um einen weitreichenden Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis "bis in die Intimsphäre". Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) würde deshalb am liebsten ganz auf das umstrittene Gesetz verzichten, obwohl die Verfassungsrichter durchaus eingeräumt hatten, dass derartige Informationen "für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung" seien.

Man könnte meinen, EU-Innenkommissarin Malmström habe aus der Urteilsbegründung abgeschrieben. Die Überprüfung der Richtlinie durch die Kommission habe nämlich ergeben, "wie wichtig gespeicherte Telekommunikationsdaten für die Justizsysteme und die Strafverfolgung sind", sagte sie gestern. So habe man beispielsweise nur aufgrund der Daten aus dem Kommunikationsverkehr einen Pädophilen-Ring enttarnt und 670 Verdächtige identifizieren können. Brüssel will deshalb nur eine Vereinheitlichung der europäischen Praxis, nicht aber eine Aufgabe der Vorratsdatenspeicherung. Statt wie bisher zwischen sechs und 24 Monate sollen die Daten künftig nur drei Monate in den Speichern der Unternehmen verbleiben. Gestrichen werden offenbar Mobilfunk-Informationen, weil sie zu Bewegungsprofilen zusammengesetzt werden können. Auch bei der Datensicherheit drängt die Kommission auf Verbesserungen. Außerdem sollen die Provider, die die Speicherkapazitäten stellen müssen, einheitlich entschädigt werden.

Der Krach zwischen den Berliner Koalitionspartnern dürfte deshalb weitergehen. Die Justizministerin nannte die Aufforderung, eine "überarbeitungswürdige" Richtlinie umzusetzen, "aberwitzig". Der Innenminister Friedrich will dagegen nun konkret werden. Sechs Monate Speicherzeit seien aber das Mindeste.

Meinung

Ein hoher Preis

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Der Fall ist unbegreiflich. Da stellt die EU-Kommission Defizite in einer eigenen Richtlinie fest und will Deutschland trotzdem zwingen, sie umzusetzen. Dabei geht es bei der Vorratsdatenspeicherung nicht um irgendeine Nebensächlichkeit. Da lässt man Lücken nicht straflos offen. Ob europäische Richtlinie oder deutsches Gesetz - man darf schon heftig überrascht sein, wie hemmungslos die Befürworter der Datenschnüffelei bereit sind, Grundrechte auszuhebeln. Bei allem Verständnis für den Wunsch der Sicherheitsexperten, ein möglichst lückenloses Bild aller zu bekommen, um Kriminelle und Terroristen herauszufischen - die verfassungsrechtlich verbrieften Freiheiten sind ein hohes Gut. Sie aufzugeben, ist ein hoher Preis für eine Demokratie.

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