Brüssel ändert Kurs: Gnade für Schuldensünder

Brüssel/Paris · Mitten in der Schuldenkrise ändert Brüssel unvermittelt seinen Kurs: Die strikten Spar-Vorgaben werden aufgeweicht, Defizit-Sünder bekommen mehr Zeit. Zugleich werden Reformen angemahnt – auch in Berlin.

Plötzliche Milde für Schuldenmacher: Brüssel erspart Defizit-Sündern wie Frankreich oder Spanien milliardenschwere Geldbußen. Das hoch verschuldete Italien soll sogar komplett aus dem Defizit-Strafverfahren entlassen werden. Wegen der schweren Wirtschaftskrise erhielten neben Frankreich und Spanien auch die Euroländer Belgien, Niederlande, Portugal und Slowenien mehr Zeit zum Sparen, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn. Durch Reformen sollten sie das Wachstum ankurbeln.

In Deutschland sind nach dem Bericht der Kommission vor allem Strukturreformen am Arbeitsmarkt nötig. So müssten etwa die hohen Steuern und Sozialabgaben für Geringverdiener sinken. Zudem wurde Berlin erneut aufgefordert, das steuerliche Ehegatten-Splitting abzuschaffen. Eine deutliche Warnung richtete EU-Kommissionschef José Manuel Barroso an Frankreich, das seine Wirtschaft schnell reformieren müsse. Als Gegenleistung für die Fristverlängerung sollten die Arbeitskosten sinken, die Energie- oder Dienstleistungsmärkte bräuchten mehr Wettbewerb. Frankreichs Präsident François Hollande verbat sich in scharfem Ton jegliche Reformvorgaben aus Brüssel. Nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel forderte er am Abend erneut einen Vollzeit-Chef für die Länder der Eurogruppe. Zugleich vereinbarten Paris und Berlin eine engere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit.

Scharfe Kritik an mehreren EU-Staaten äußerte derweil EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung bezeichnete er Europa als "Sanierungsfall". Frankreich sei "null vorbereitet auf das, was notwendig ist": Rentenkürzungen, längere Lebensarbeitszeit und eine geringere Staatsquote. Bulgarien, Rumänien und Italien seien "im Grunde genommen kaum regierbar", so Oettinger. Während seine Brandrede in den angesprochenen Ländern empört aufgenommen wurde, kam grundsätzliche Unterstützung von SPD-Chef Sigmar Gabriel. Europa sei "in der Tat in schlechtem Zustand", sagte er. > e, A 4: Meinung

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