Brexit-Abkommen In Brüssel herrscht hinter den Kulissen große Nervosität

Brüssel · Die Spitzen der EU richten bange Blicke nach London. Gibt es noch Spielräume für Zugeständnisse an die Briten?

 Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, lud gestern zu einem EU-Gipfel am 25. November ein.

Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, lud gestern zu einem EU-Gipfel am 25. November ein.

Foto: dpa/Olivier Matthys

Am Tag nach dem Brexit-Deal herrscht in Brüssel so etwas wie hektische Ruhe. Aufregung angesichts der politischen Krise in Großbritannien? Zumindest nicht offiziell. „Es steht mir nicht zu, die jüngsten Entwicklungen in London zu kommentieren“, erklärte EU-Ratspräsident Donald Tusk. „Ich kann nur sagen, dass wir bereit sind für eine endgültige Vereinbarung mit Großbritannien im November. Wir sind auch vorbereitet auf ein No-Deal-Szenario. Aber wir sind natürlich am besten vorbereitet für ein No-Brexit-Szenario.“

Bei der Europäischen Kommission auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Brüsseler Europaviertel zeigte sich Chefsprecher Margaritis Schinas ebenfalls bemüht, aufkommende Zweifel an der Durchsetzbarkeit des Austrittsvertrages mit den Briten zu zerstreuen. „Unsere Verhandlungspartner sind May und die britische Regierung. Wir arbeiten weiter im guten Glauben mit ihnen zusammen.“ Im Übrigen habe die amtierende britische Regierung den Text am Mittwochabend gebilligt und nur deshalb sei das weitere Verfahren auf EU-Ebene ausgelöst worden. Demnach befassen sich nun die 27 Regierungen mit dem Papier. In der nächsten Woche soll es zu einem ersten Treffen der Europaminister kommen. Für Sonntag, 25. November, lud Tusk die Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel nach Brüssel ein. Es dürfte eine Runde im sogenannten Artikel-50-Format werden, also ohne die britische Premierministerin.

Derweil tourte EU-Chefunterhändler Michel Barnier seit den frühen Morgenstunden durch die Führungsetagen der europäischen Institutionen. Schon kurz nach halb acht saß er in Brüssel bei Tusk, drei Stunden später informierte er die Spitze des Europäischen Parlamentes in Straßburg. Überall verbreitete der Franzose die gleiche Botschaft: „Das ist ein gutes Abkommen – für beide Seiten.“

Doch die Unaufgeregtheit täuscht – hinter den Kulissen ist die Nervosität über das Chaos auf der Insel groß. Dass Premierministerin Theresa May entweder selbst zurücktritt oder durch ein Misstrauensvotum zur Demission gezwungen werden könnte, stellt die EU vor weitreichende Fragen. Denn dann wäre die Chance für einen Deal vertan. So war es denn auch kein Wunder, dass bereits gestern erstmals Fragen auftauchten, ob die bisherigen Vereinbarungen vielleicht doch noch Spielraum für ein weiteres Zugehen auf London bieten würden. Verständlicherweise wiesen die EU-Spitzen solche Überlegungen weit von sich – einen solchen Schritt könnten allein die Staats- und Regierungschefs beschließen und dann per Mandat an Chefunterhändler Barnier weiterleiten. Doch die Bereitschaft scheint gering – zu langwierig und kompliziert waren die bisherigen Gespräche, zu groß sind der zeitliche Druck und die Hoffnung, mit dem jetzt vereinbarten Deal die heftigsten Brexit-Rückschläge für die eigene Wirtschaft abmildern zu können. „Wir können doch nicht wochenlang verhandeln und beim ersten Unmut auf der Insel alles wieder aufrollen“, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat.

Also dürfte die Gemeinschaft zunächst mit dem Vertragsentwurf weitermachen und dennoch bang über den Kanal sehen.

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