Böses Spiel mit dem Beckinger Schraubenwerk?

Beckingen · Wieder eine Nervenprobe für die Mitarbeiter der Beckinger Schraubenfabrik. Wie geht es in ihrem Betrieb weiter? Die größten Kunden sind weg. Es droht das Aus. Der Investor könnte trotzdem ordentlich Profit schlagen.

 Die Schraubenfabrik in Beckingen sieht schon lange in eine ungewisse Zukunft. Betriebsrat und Gewerkschaft kämpfen für die Mitarbeiter. Fotos: Ruppenthal

Die Schraubenfabrik in Beckingen sieht schon lange in eine ungewisse Zukunft. Betriebsrat und Gewerkschaft kämpfen für die Mitarbeiter. Fotos: Ruppenthal

Es gilt zu retten, was noch zu retten ist. Daher demonstrieren heute die Beschäftigten der existenzbedrohten Schraubenfabrik in Beckingen vorm Rathaus. Die Gewerkschaft IG Metall und der Betriebsrat haben zum Protest aufgerufen - wieder einmal. 340 Menschen bangen um ihren Arbeitsplatz. "Wir kämpfen um das Werk", sagt Guido Lesch, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall in Völklingen. Nach einem Jahr Widerstand gegen das Geschäftsgebaren des Firmeneigners Neil Whitesell klingt seine Stimme manchmal allerdings so, als müsse er sich selbst Mut machen. Doch zu groß ist seine Wut, um sich damit abzufinden, dass der Firmenchef aus dem fernen Florida das Traditionsunternehmen gegen die Wand fährt und dabei auch noch Profit macht.

Der saarländische Wirtschaftsstaatssekretär Jürgen Barke (SPD ) wirft Whitesell inzwischen "Raubtierkapitalismus" vor. "Es ist das klassische Heuschrecken-Vorgehen, das sich hier abzeichnet." Die Geschäfts praxis eines dubiosen Finanzinvestors, der Firmen aufkauft, um schnell Profit aus ihnen zu saugen. Wie konnte es soweit kommen?

I m Sommer 2013 sah das noch anders aus. Damals galt Neil Whitesell vielen als Hoffnungsträger. Ein Familienunternehmer aus Florida . Ein Kenner der Branche, der, wie es hieß, in den USA Daimler und BMW beliefert. Ein strategischer Investor, der in Europa Fuß fassen wolle. Viele trauten ihm zu, die insolvente Ruia-Schraubengruppe mit ihren Werken in Beckingen , Neuss (Nordrhein-Westfalen), Neuwied (Rheinland-Pfalz) und Schrozberg (Baden-Württemberg) wieder flottzumachen und die 1350 Jobs zu retten. Die Ernüchterung folgte bald .

Schon vor einem Jahr, kurz bevor die Übernahme zum 1. Januar vollzogen wurde, schlugen Gewerkschaft, Betriebsrat und das damals noch deutsche Management Alarm. Sie warnten in einer Resolution, dass Whitesell "unsere langjährigen Geschäftsbeziehungen und somit unsere Zukunft gefährdet". Die Whitesell Group habe "über 300 Kunden angeschrieben und astronomische Preiserhöhungen angekündigt", erklärte die IG Metall . Ein Autozulieferer klagte in einem Schreiben, das die SZ einsehen konnte, über Preiserhöhungen von satten 40 Prozent.

Damals mochte man noch meinen, dass Neil Whitesell eben "keine Ahnung von Europa, der Automobilindustrie und den damit verbundenen Märkten hierzulande" habe, wie es ein verärgerter Kunde formulierte. Aber auch wachsende Erfahrung brachte keine Kehrtwende, so oft dies IG Metall und Betriebsrat in den folgenden Monaten fordern mochten.

Autoexperte Ferdinand Dude nhöffer vom Car-Institut der Universität Duisburg-Essen hält das Vorgehen Whitesells für merkwürdig. Wer so agiert, "geht hohe Risiken ein, dass er keine Aufträge mehr kriegt". Diese Risiken schreckten den US-Unternehmer offenbar nicht. Die Whitesell-Geschäftsführung wies zwar Vorwürfe von Betriebsrat und Gewerkschaft in einer Presserklärung zurück, schwieg sich aber ansonsten aus und verfolgte ihren Kurs - mit Folgen. Inzwischen sind alle Großabnehmer abgesprungen - VW , Ford und jetzt auch BMW . Die noch vor einem Jahr gefüllten Auftragsbücher sind fast leer. Mit dem Rückzug von BMW fällt die Auslastung des Beckinger Werks nach Betriebsratsangaben auf etwa 30 Prozent. Und damit dürften selbst harte Einschnitte nicht ausreichen, die schon beschlossen wurden: der Wegfall von 437 Arbeitsplätzen, das Aus des Standorts Neuss. "Weitere Werksschließungen und Massenentlassungen drohen", heißt es im aktuellen Manifest der IG Metal l.

Steckt hinter dem Vorgehen Whitesells eine ganz andere Strategie? Wie drastisch er gegenüber Kunden auftritt, zeigt ein Statement von BMW . Whitesell habe, "widerrechtlich mit einem umfassenden Lieferstopp gedroht", im Bewusstsein, dass dies "zu längerer Produktionsunterbrechung in allen BMW-Fahrzeugwerken geführt hätte", schreibt das Unternehmen. Angesichts dieses "klaren Falls von Erpressung", wie BMW schreibt, akzeptierte das Unternehmen zähneknirschend ungewöhnliche Vertragsklauseln: eine Laufzeit von über zehn Jahren, die Whitesell einseitig um weitere fünf Jahre verlängern kann, und eine jährliche Steigerung der Mindestabnahmemenge um zehn Prozent. Zudem sollte BMW allen seinen Zulieferern "Whitesell als Lieferanten vorschreiben". Zu Preiserhöhungen äußert sich BMW zwar nicht, nach SZ-Informationen soll Whitesell aber ein Drittel mehr verlangt haben.

Nun, da BMW als Kunde abgesprungen ist, wird Whitesell den Konzern wohl wegen Vertragsbruchs verklagen. Die Vertragsstrafe soll im dreistelligen Millionenbereich liegen, ein Vielfaches der zehn bis 15 Millionen Euro, die er für den Kauf der insolventen Schraubenwerke dem Vernehmen nach ausgegeben hat. Selbst ein Teilerfolg vor Gericht wäre für Whitesell ein einträgliches Geschäft.

Ein Weiterbetrieb der deutschen Werke ist für den US-Mutterkonzern daher womöglich weniger wichtig, als man denken sollte. Angeblich sollen - vermutlich dank der Preiserhöhungen - rote Zahlen vermieden worden sein. Und wenn die Betriebe am Ende sind, lassen sich immer noch Maschinen und Immobilien zu Geld machen. Zum Beispiel das wertvolle Innenstadt-Grundstück am Standort Neuss, der geschlossen werden soll. Die Stadt hat angeboten, das Gelände zu kaufen. Bisher ist Whitesell aber darauf nicht eingegangen.

"Wie kriegen wir Whitesell weg?" Das ist für den IG-Metall-Bevollmächtigten Lesch die entscheidende Frage. Auf die Forderung, sich zurückzuziehen und "die Betriebe freizugeben", reagierte der US-Unternehmer lange ablehnend. Auf einer Kundgebung in Neuwied soll ein Whitesell-Manager am Freitag nach Leschs Informationen angedeutet haben, dass doch Standorte einzeln verkauft werden könnten. "Das macht mir ein bisschen Hoffnung."

 NeilWhitesell

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 Die Geschäftsführung von Whitesell – hier Deutschlandchef Bob Wiese – schweigt sich aus.

Die Geschäftsführung von Whitesell – hier Deutschlandchef Bob Wiese – schweigt sich aus.

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HintergrundDas Beckinger Unternehmen war an der Saar lange als Karcher Schraubenfabrik bekannt. Durch Zusammenschlüsse wurde später daraus Bauer & Schaurte Karcher (BSK). Ab 1974 gehörte die Fabrik zu Arbed Saarstahl. Nach dem Saarstahl-Konkurs 1993 rutschte BSK ebenfalls in die Pleite. Neuer Eigentümer wurde die französische Industriegruppe Valois, danach 1996 das US-Unternehmen Textron und 2006 die US-Gruppe Acument, die dem Private-Equity-Fonds Platinum Equity gehörte. 2009 meldete Acument für die deutsche Gruppe Insolvenz an. Ende 2010 wurde diese an die indische Ruia Group verkauft, die sie in Ruia Global Fasteners umtaufte. Die Inder schickten sie im März 2012 erneut in die Insolvenz, weil sie sich an anderer Stelle finanziell verhoben hatten. Seit Beginn dieses Jahres gehört die Fabrik zur Whitesell Group des US-amerikanischen Unternehmers Neil Whitesell. low/mzt

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